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18.11.2024 | Energie, Stadtplanung

Der Energiekrise ein Schnippchen schlagen: Netzwerk aus Wärmeinseln für Kehlheim

In der historischen Stadt Kelheim begann alles mit einer Wärmeinsel. Nach und nach kamen vier weitere dazu und im Laufe der Zeit wurde mit der Vernetzung der Inseln zu einem Wärmenetz begonnen. Und inzwischen zeichnet sich ab, dass bald einmal ein großer Teil der Stadt an der Donau mit ökologisch produzierter Wärme versorgt werden könnte.

Bild: Gammel Engineering

„Ideenergie“ steht über einer Zeichnung aus dem Jahr 2009: Darauf ist das Wärmekonzept Kelheim und die dafür notwendige Strategie der Stadtwerke für die Zukunft abgebildet. Und gleichzeitig auch das Problem: Fünf Wärmeinseln sind dort zu sehen – nicht jedoch die Verbindungen untereinander. Bei kleinen, isolierten Gebietsversorgungen ist hier wie anderswo oft die hohe Rücklauftemperatur im Netz problematisch. Daraus entstehen hohe Verluste – verbunden mit einem recht geringen Wirkungsgrad solcher Nahwärmeinseln. Wie dieses Dilemma in Kelheim zu lösen wäre, sollte mit Hilfe einer Studie herausgefunden werden. Der Auftrag dafür ging 2009 an das in diesem Sektor schon lange erfolgreich tätige Unternehmen Gammel Engineering aus dem nahen Abensberg und legte den Grundstein für die langjährige und erfolgreiche Zusammenarbeit, die bis heute Bestand hat.

Erste Wärmeinsel besteht seit 1994

Die erste Stadtwerke-Wärmeinsel bestand schon seit 1994 im Norden Kelheims: Sie versorgte die dortige Schule, Bauhof und Feuerwehr, die Goldbergklinik sowie die Einkaufsmeile „Schäfflerstraße“ mit Wärme aus einem Gas-Blockheizkraftwerk (BHKW). Dieses profitierte über viele Jahre von niedrigen (russischen) Gaspreisen, was niedrige Wärmepreise zur Folge hatte. Deshalb wurde noch in den neunziger Jahren ein eigenes Gas-BHKW für die Versorgung des von der Stadt betriebenen Bade- und Freizeit-Eldorado KELDORADO mit Wärme und Strom installiert. Da die beiden Gas-BHKW ohnehin hätten ausgetauscht werden müssen, empfahlen die Gammel-Ingenieure in ihrer Studie im Wesentlichen: Ein zentrales Biomasseheizkraftwerk (BMHKW) errichten und nach und nach alte und neu entstehende Wärmeinseln miteinander vernetzen.

„Als wir vor 13 Jahren damit angefangen haben, war es sehr aufwändig, unsere Gesellschafter zu überzeugen. Denn damals waren die Gaspreise total im Keller“, erinnert sich Sabine Melbig, die heutige Allein-Geschäftsführerin der Stadtwerke Kelheim. Zwischenzeitlich hatte man sich im vom Landkreis betriebenen Krankenhaus sogar Gedanken um eine eigene Wärmeversorgung gemacht, dachte also über das Abkoppeln vom Wärmenetz nach: „Die neuen Verträge waren keine ‚g‘mahde Wiesn‘, wie man hier sagt.“

Dennoch fand im März 2011 der Spatenstich für das BMHKW statt. Und schon im September waren die ersten Unternehmen im Gewerbegebiet „Am Kastlacker“ ans Wärmenetz im nordöstlichen Stadtteil angeschlossen. Als Brennstoff im BMHKW wird naturbelassenes Holz aus den Wäldern der Region mit einer ORC-Turbine verfeuert. Sie verwandelt etwa 23 Prozent der Wärme aus der Feuerungsanlage in Strom, bevor diese ins Wärmenetz eingespeist wird Die Stadtwerke verfeuern hier seit einigen Jahren fast ausschließlich Hackschnitzel aus Wipfelmaterial. Für die etwa 7.500 t atro sind mehrere Hackschnitzellieferanten aus der Region, wie etwa die ortsansässige Waldbauernvereinigung und die Bayerischen Staatsforsten, unter Vertrag. Zur Absicherung der Spitzenlast wurde zusätzlich ein gasbefeuerter Kessel installiert. Dank der Verbindung mit der seit 1994 bestehenden Nahwärmeinsel rund um den Bauhof erhöhte die dort bestehende Heizzentrale zusätzlich die Versorgungssicherheit.

Auf BMHKW folgt Pelletheizung – „Ideenergie“ nimmt weiter Form an

„Als nächstes kam die Pelletheizung in der Innenstadt“, erinnert sich Thomas Winkler, der als Projektleiter aus den Reihen von Gammel Engineering die bereits anderthalb Jahrzehnte andauernde Zusammenarbeit begleitet. Bald danach wurde die Vernetzung der nun schon drei „Inseln“ in Angriff genommen. Über allen Erweiterungen aber standen laut Stadtwerke-Chefin Sabine Melbig „die Vorgaben unseres Aufsichtsrats: Organisches Wachstum, Vorverträge sind Pflicht. Erst dann waren wir jeweils in einer Startposition für die nächste Ausbaustufe.“ Dabei hatte der Versorger natürlich auch den existentiell wichtigen Querverbund Stadtwerke-Bad im Blick, der ohne sichere Abnahmeverträge womöglich gefährdet gewesen wäre.
Der wohl schwierigste Schritt musste 2016 genommen werden: „Die nächste Erweiterung war der Sprung über den Main-Donau-Kanal nach Süden in die Kelheimer Innenstadt. Dafür brauchten wir eine Zwischenlösung“, berichtet Michael Gammel, Inhaber des Ingenieurunternehmens Gammel Engineering. Auch in der Umbauphase war die 100-prozentige Versorgungssicherheit für das Krankenhaus unumgänglich. „Dass auch die Verantwortlichen im Landkreis letztlich vom Fernwärmekonzept überzeugt werden konnten, das liegt sicher auch daran, dass wir derartige Projekte mit unserem Projektentwicklungsteam strukturiert entwickeln“, ist Gammel überzeugt. Die so entstandenen, fundierten und belastbaren Businesspläne bilden die Basis, die Versorgern und Kommunen hilft, die Planung und Realisierung solch nachhaltiger Investitionen zielsicher umzusetzen. „So werden Fehlinvestitionen aus vielleicht kurzfristiger Sichtweise heraus vermieden; unsere Auftraggeber verfolgen ja langfristige strategische Ziele bei ihrer Energieversorgung“, so Gammel.

Gymnasium des Landkreises seit 2021 mit Fernwärme versorgt

Im Zug der Erweiterungen gesellte sich 2021 sogar das Landkreis-eigene Gymnasium zu den Abnehmern und wird seither mit Stadtwerke-Fernwärme versorgt. „Dazu war viel Überzeugungsarbeit notwendig. Doch heute ist auch der Landkreis dank des neuen Landrats energietechnisch aufgeschlossener“, freut sich Sabine Melbig. Aber Michael Gammel ergänzt: „Ganz klar: Ohne Konkurrenzfähigkeit wäre die Fernwärme nicht drangekommen. Bei der Diskussion damals um das Gymnasium wurde beispielsweise um Eintausend Euro gerungen.“ Gammel-Projektleiter Winkler setzt aber für die Zukunft auf ein Umdenken bei der Politik: „Auch die lokal Verantwortlichen werden zu einer langfristigen, zukunftsgerichteten Denkweise kommen. Dabei können gerade auch die regionalen Brennstoffe überzeugen, das ist regionaler Wirtschaftskreislauf. Allerdings waren die in der Energiekrise der letzten Jahre ebenfalls gestiegenen Hackschnitzelpreise nicht wirklich hilfreich.“

Sehr wohl hilfreich dagegen scheint das neue, optisch im wahrsten Sinne herausragende Wahrzeichen der Kelheimer Nahwärme: der 20 Meter hohe Pufferspeicher direkt am Hackschnitzelheizkraftwerk wurde Anfang 2024 per Autokran aufgerichtet. „Ansprechend verziert mit einer aufsteigenden Wasser- und Feuerfontäne hat den Tank ein Graffitikünstler aus der Stadt, was Bürgermeister und Aufsichtsrat sehr begeistert hat. Und die Sozialen Medien waren voll des Lobes“, erinnert sich Stadtwerke-Chefin Melbig. Doch der Speicher wirkt nicht nur optisch, sondern vor allem technisch: „Damit entkoppeln wir hydraulisch und zeitlich Wärme-Erzeugung und -Verbrauch“, erläutert Thomas Winkler. Die Investition in den zylinderförmigen Puffer mit 200.000 Liter Wasserinhalt wurde im Vorgriff auf ein Gesamtkonzept für die Nahwärmeversorgung aus dem Programm „Bundesförderung für effiziente Wärmenetze (BEW)“ des Bundes-Wirtschafts- und Energieministeriums stark finanziell gefördert. Deshalb ist sich Felix Ipfelkofer, der zuständige Projektleiter der Stadtwerke sicher, dass sie dann in stets vertrauensvoller Zusammenarbeit mit der Stadt Einfluss auf die kommunale Wärmeplanung haben. „Der Schlüssel ist das bestehende Netz: Es macht alles flexibler planbar“, ergänzt Thomas Winkler.

Erster Bürgermeister von Kelheim zeigt sich begeistert

Der Personalbedarf für dieses Nahwärmenetz ist überschaubar: Zwei Mitarbeiter sind direkt im Kraftwerk tätig, ein Netzmeister ist für das Netz zuständig, dazu kommt der Bereitschaftsdienst und eine Halbtagskraft für die Abrechnung. Das gesamte Konzept hat auch die Stadtoberen überzeugt: „Kelheim hat vor 15 Jahren Mut bewiesen, indem es auf den Ausbau der Fernwärme gesetzt hat. Diese Entscheidung war zukunftsweisend für die Energieversorgung der Stadt. Fernwärme ist eine von Krisenszenarien weitgehend unabhängige Energieversorgung: Der Mix aus Technologien und Energieträgern schafft Flexibilität. Unser strategisches Entwicklungskonzept fügt sich nahtlos in die geforderte kommunale Wärmeplanung ein und bereitet uns optimal auf die zukünftigen Vorgaben und Strategien der Energiepolitik vor. Ich bin überzeugt, dass wir für die Energiezukunft Kelheims gut gerüstet sind“, sagt Christian Schweiger, Erster Bürgermeister von Kelheim. Für Sabine Melbig, die Allein-Geschäftsführerin der Stadtwerke steht jedenfalls fest: „Über die Jahre hat sich in der Zusammenarbeit mit Gammel Engineering gezeigt: Die kurzen Wege; dass wir damals wie heute Strategien, Technik und Wirtschaftlichkeit schnell mal am Tisch besprechen können, das war und ist wichtig - für die Entwicklung der Kelheimer Nahwärme seit 2009, bis heute – und womöglich auch in Zukunft.“