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20.12.2024 | Wasser und Abwasser

Innovative Grundwassersanierung liefert erste Erfolge

Stadtwerke Rinteln setzen auf nachhaltiges, biologisches Verfahren zur Beseitigung von Altlasten auf Stadtwerke-Gelände – Methode kommt erstmalig in dieser Größenordnung zur Anwendung – erster Reinigungszyklus mit positivem Ergebnis abgeschlossen

Hydraulische Zirkulation: Die hydraulische Zirkulation gewährleistet die Verteilung des Wirkstoff-Gemischs. (Foto: Stadtwerke Rinteln)

Mithilfe eines innovativen biologischen Verfahrens sanieren die Stadtwerke Rinteln seit Januar 2022 das Grundwasser unter dem Stadtwerke-Areal. Am Standort wurde früher Gas aus Kohle und Koks produziert. Sicherheitsvorkehrungen im heutigen Stil gab es in der damaligen Produktionszeit von 1896 bis 1964 nicht, weshalb Schadstoffe, sogenannte Altlasten, in den Boden gelangt sind; geringe Teile davon sind über die Jahre auch ins Grundwasser unter dem Gelände gelangt. „Direkt nachdem die Altlasten auf unserem Grundstück identifiziert worden waren, haben wir in enger Zusammenarbeit mit dem Landkreis Schaumburg tiefgreifende Untersuchungen in die Wege geleitet“, sagt Ulrich Karl, Geschäftsführer der Stadtwerke Rinteln, und führt aus: „Diese haben gezeigt, dass die Schadstoffkonzentration auf den umliegenden Grundstücken unterhalb des gesetzlichen Grenzwerts liegt, womit wir eine Gefahr für Anlieger und die Bevölkerung ausschließen konnten.“ Jan-Philipp Giltmann, technischer Leiter der Stadtwerke Rinteln, erklärt: „Die größte Belastung wurde im Grundwasser unter unserem Grundstück gefunden. Die langsame Fließgeschwindigkeit des Grundwassers bewirkt, dass nur äußerst geringe Mengen der Schadstoffe weitergetragen werden.“ Bei den Schadstoffen, die es zu sanieren gilt, handelt es sich um Cyanide. Cyanide sind Salze und Verbindungen der Blausäure, die hochtoxisch sind, deren Aufnahme in sehr geringen Mengen aber ungefährlich ist. Bei dem biologischen Verfahren arbeiten die Stadtwerke Rinteln mit den Firmen M&P Ingenieurgesellschaft mbH aus Hannover und der Sensatec GmbH aus Kiel zusammen. 

Maßnahmen greifen – Zwischenerfolg erreicht

Komplex gebundene Cyanide, wie sie auf dem Stadtwerke-Areal vorkommen, sind nicht einfach abzubauen. Üblicherweise greifen Sanierungsunternehmen im Falle einer Cyanid-Belastung deshalb zum klassischen Bodenaushub und der Entsorgung des Erdreichs als gefährlichen Abfall. Die Stadtwerke Rinteln haben sich bewusst gegen diese Methode entschieden und setzen stattdessen auf ein biologisches Verfahren. Das Verfahren, das die M&P Ingenieurgesellschaft mbH gemeinsam mit der Sensatec GmbH entwickelt hat, kommt mit dem Projekt in Rinteln erstmalig in Deutschland in dieser Größenordnung zum Einsatz. Einen ersten Meilenstein haben die Stadtwerke und ihre Partner damit im Juni 2024 erreicht: Der erste, kleinere Reinigungszyklus ist seitdem abgeschlossen. Die kontinuierliche Überwachung der Werte beweist jetzt – ein halbes Jahr danach – den nachhaltigen Erfolg der Maßnahme: Die Cyanid-Konzentration ist auch in den vergangenen Monaten kontinuierlich unterhalb des angestrebten Sanierungszielwerts geblieben und nimmt sogar weiter ab. 

So funktioniert das biologische Sanierungsverfahren

Stark vereinfacht lässt sich das angewandte Verfahrensprinzip, das in Fachkreisen als Enhanced Natural Attenuation (ENA) bezeichnet wird, folgendermaßen erklären: Mikroorganismen, die vor Ort bereits vorkommen, zersetzen die Altlasten und bauen sie damit nachhaltig ab. Damit die Mikroorganismen für diese Aufgabe in genügend großer Zahl vorhanden sind, wird biologisch nachgeholfen. Über Bohrlöcher werden die Mikroorganismen mit Sauerstoff und Nährstoffen gefüttert und auf diese Weise stark vermehrt. Ist die erforderliche Konzentration von Organismen erreicht, werden die Nährstoffe weggelassen. Dadurch fehlt den Mikroorganismen die Nahrung und sie beginnen stattdessen das belastete Material zu zersetzen und die Schadstoffe so zu vernichten. Um die Wirkstoffe in das Grundwasser einzubringen, haben die beauftragten Fachfirmen über 60 Löcher – sogenannte Sanierungsbrunnen – gebohrt, die bis in die Grundwasser führende Schicht in drei bis zehn Metern unter dem Stadtwerke-Gelände führen. Hydraulische Pumpen fördern das Grundwasser, pumpen es an die Oberfläche, wo es mit dem Wirkstoff-Gemisch versetzt und anschließend über die weiteren Bohrlöcher wieder dem Grundwasser zugeführt wird. So entsteht ein Reinigungskreislauf: Die Injektion des Wirkstoff-Gemischs erfolgt volumenstromgesteuert mittels eines Durchflussreglers direkt in die eigens dafür präparierten Bohrlöcher. Diese sind über den gesamten Standort verteilt. So gelingt es, die Wirkstoffe dem Grundwasser beizumischen, wodurch eine flächige Verteilung in alle Bereiche unterhalb des Standorts möglich wird. 

Nachhaltig, umweltschonend und kostengünstig

Diese Sanierungsmethode ist erheblich günstiger als der klassische Bodenaustausch. Darüber hinaus werden durch das Verfahren kostbare Ressourcen erhalten. Jan-Philipp Giltmann betont: „Mit der konventionellen Methode gehen erhebliche Eingriffe in die Umwelt einher. Eigentlich wertvoller Boden muss als gefährlicher Abfall entsorgt werden. In unserem Fall sprechen wir von einem Verlust von gut 30.000 Tonnen Erdreich, die wir zusätzlich anschließend ja auch wieder hätten auffüllen müssen.“ Für den Bodenaushub hätten Betriebsgebäude und Höfe der Stadtwerke Rinteln abgerissen und anderswo interimsweise wieder aufgebaut werden müssen, was den Stadtwerkebetrieb deutlich eingeschränkt hätte. Für den Abtransport des Aushubs allein wären mehr als 1.000 Lastwagen erforderlich, monatelanger Baulärm, Einschränkungen durch Sicherheitsvorkehrungen und ein hohes Verkehrsaufkommen vorprogrammiert gewesen. „Das ist alles andere als nachhaltig, weshalb wir eine Alternativlösung gesucht und auch gefunden haben“, resümiert Jan-Philipp Giltmann. Die Vorteile der jetzigen Lösung für die Stadtwerke liegen auf der Hand: Da der Bodenaushub wegfällt, können Betriebsgebäude und Höfe der Stadtwerke an Ort und Stelle verbleiben, der Stadtwerkebetrieb läuft ohne Einschränkung weiter und vor allem werden die Cyanide dank des Verfahrens dauerhaft abgebaut. 

Ergebnisse richtig interpretieren

Zwei Jahre haben die Stadtwerke Rinteln und ihre Partner daran gearbeitet, das Sanierungsverfahren vollständig einzurichten und an die örtlichen Gegebenheiten anzupassen. „Die Grundwassersanierung bei den Stadtwerken Rinteln ist ein Pionier-Projekt für uns“, sagt Aglaia Nagel, Fachgruppenleiterin für Grundwasser-Sanierungen von M&P Ingenieurgesellschaft mbH, die sich auf in-situ-Maßnahmen spezialisiert hat. „Noch an keinem anderen Standort haben wir das Verfahren in dieser Größenordnung durchgeführt.“ Seit Anfang Januar 2023 sind die Vorarbeiten abgeschlossen und der Reinigungskreislauf ist in Gang gesetzt. Das Grundwasser wurde und wird auch zukünftig kontinuierlich beprobt, um die Cyanid-Konzentration lückenlos zu überwachen. Im bisherigen Sanierungsverlauf ergaben sich dabei Werte, die auf den ersten Blick irritierend sein mögen, von den Fachleuten aber schlüssig erklärt werden können: Die Cyanid-Konzentration ist seit 2021 an den zwei Schadensherden unter dem Stadtwerke-Areal zwischenzeitig immer wieder angestiegen und sinkt seit Januar 2024 kontinuierlich. „Ich gebe zu, dass das sehr verwirrend ist. 2021 sind wir mit einer mittleren Cyanid-Konzentration von etwas über 2000 Mikrogramm pro Liter gestartet, Ende 2023 haben wir einen fast doppelt so hohen Wert erreicht“, sagt Jan-Philipp Giltmann und kommt auf zwei entscheidende Faktoren für diese Entwicklung zu sprechen. „Das hängt zum einen damit zusammen, dass der Reinigungszyklus wie eine Art Waschmaschine dafür sorgt, dass eine Durchmischung des Grundwassers entsteht.“ Das sei wichtig, um das Wirkstoff-Gemisch gleichmäßig zu verteilen. Damit einher gehe aber auch, dass die Cyanid-Konzentration ansteige. „Das ist vergleichbar mit einem Eimer Wasser, in dem sich am Boden Erde abgesetzt hat. Lässt man diesen ruhig stehen, bleiben Wasser und Erde getrennt voneinander, das Wasser ist klar. Rührt man allerdings darin herum, vermischen sich Wasser und Erde. Das Wasser wird dreckig“, verbildlicht Jan-Philipp Giltmann den Vorgang. 

Der zweite, entscheidende Faktor, der die Cyanid-Konzentration beeinflusse, sei das regelmäßig vorkommende Hochwasser. „Steigt das Wasser in der Weser, wie es hier oft im Herbst und Winter der Fall ist, sorgt das auch für einen steigenden Grundwasserspiegel auf unserem Stadtwerke-Areal“, erklärt Jan-Philipp Giltmann die Auswirkungen und präzisiert: „Dadurch steigt das Grundwasser in Bodenschichten auf, die es unter normalen Umständen nicht erreicht. Das begünstigt die Ausspülung von Cyaniden aus diesen Bodenschichten.“ Zuletzt war dies aufgrund des prägnanten Hochwassers Ende 2023 der Fall: Die Cyanid-Konzentration im Grundwasser stieg infolgedessen stark an. „Das Hochwasser ist in diesem Fall Fluch und Segen zugleich“, sagt Jan-Philipp Giltmann. Einerseits habe es den Stand des Sanierungsverfahrens wieder zurückgeworfen, andererseits habe es aber ermöglicht, die Cyanid-Vorkommen in Bodenschichten abzubauen, die ansonsten durch das Verfahren nicht hätten erreicht werden können. Da das Stadtwerke-Areal heute vollständig versiegelt ist, gibt es kein Niederschlagswasser, das die Altlasten ins Grundwasser ausspülen könnte. Sie bleiben an Ort und Stelle fixiert. Das Sanierungsverfahren konzentriert sich deshalb auf die grundwasserführenden Schichten und damit die im Grundwasser enthaltenen Schadstoffe. Dank des überdurchschnittlichen Anstiegs des Grundwasserspiegels aufgrund des Hochwassers im Dezember 2023 konnten Ablagerungen aus Schichten ausgelöst und von den Mikroorganismen abgebaut werden, die üblicherweise oberhalb des Grundwasserspiegels liegen. Dass das gut funktioniert, zeigt das Schaubild des Sanierungsverlaufs: Seit dem letzten Anstieg der Messwerte Ende 2023 sinken diese kontinuierlich ab. „Mit dem zweiten, größeren Reinigungszyklus wollen wir bis zum Sommer 2025 das Schadstoffinventar weiter reduzieren, so dass die Zirkulationsanlage in Abstimmung mit der Behörde pausiert werden kann. Aufgrund der positiven Werte seit April 2024 sind wir zuversichtlich, dass wir dieses Ziel erreichen“, schließt Jan-Philipp Giltmann.