Alte Turnhalle wird durch neues Dachsystem zum nachhaltigen und funktionalen Gebäude
„Abreißen und neu bauen; Sanieren ist zu teuer!“ Lange Zeit galt dies als Glaubenssatz, wenn auf kommunaler Ebene über die Zukunft alter Sporthallen zu entscheiden war. Inzwischen aber setzt sich eine andere Herangehensweise durch. Sie zeichnet sich aus durch eine ökologisch verantwortungsvolle Gesamtbetrachtung, die den Gedanken der Nachhaltigkeit in den Mittelpunkt des Geschehens stellt.
Hierbei wird der Vorstellung, dass in der Errichtung und im Material des Altbaus bereits ein hohes Maß an Energie gebunden ist – die sogenannte Graue Energie – ein hoher Stellenwert eingeräumt.
„Der Faktor Graue Energie kann richtungsweisendes Handlungsprinzip eines Sanierungsvorhabens werden, viele statisch-konstruktive Fragestellungen beeinflussen und dazu führen, dass der erhaltenswerte Bestand zur tragenden Säule der Sanierung wird“, sagt der Tragwerkplaner Heiko Fassbender. Dass man den Geschäftsführer des Ingenieurbüros Kleinhofen + Schulenberg (K+S) an dieser Stelle beim Wort nehmen darf, veranschaulicht ein aktuelles Projekt, das als Paradebeispiel für die ressourcenschonende Sanierung kommunaler Gebäude gelten darf: Die von der Stadt Darmstadt beauftragte und dem architektonischen Entwurf von Loewer + Partner folgende Komplettsanierung der Sporthalle des Darmstädter Lichtenberg-Gymnasiums. Zu den Highlights dieser grundhaften und energetischen Sanierung zählt die von K+S entwickelte und realisierte neue Leichtbau-Dachkonstruktion. Sie ermöglichte die Umsetzung aller Nachhaltigkeitswünsche des Bauherrn und erlaubt die künftige Nutzung der Halle als gesetzeskonforme Versammlungsstätte.
Das Sanierungsvorhaben startete 2022 mit der Bestandsaufnahme durch die Tragwerkspezialisten von K+S. Schon früh erkannten sie, dass große Teile der Bauwerk-Substanz aus dem Jahr 1962 einen überraschend guten Zustand aufwiesen. Auch erschienen charakteristische Merkmale des Gebäudes – etwa das geklinkerte Sichtmauerwerk – als erhaltenswert. Selbst am alten, über 18 Meter freitragenden Tragwerk des Daches ließen sich anfangs keine nennenswerten Mängel ausmachen. In seiner schweren Konstruktion aus vorgespannten Fertigteilbindern und einachsig gespannten Spannbeton-Hohlplatten sahen die Bauingenieure von K+S allerdings keinen Spielraum für die Umsetzung der gesetzten Sanierungsziele. „Weder bot sie ausreichende Traglastreserven zur Realisierung energetischer und klimatechnischer Maßnahmen noch erlaubte sie die nachweisbare Bewertung der Feuerwiderstandsdauer“, sagt Heiko Fassbender.
Ebenso wie die Nachhaltigkeitsaspekte und der verbesserte Brandschutz gehörten auch hohe energetische Maßstäbe zu den Anforderungen der Auftraggeber. So sollte die Halle nach der Sanierung über ein Dach verfügen, dass sowohl die Integration einer hocheffizienten Dämmung als auch die Innenmontage von Kühl-/Heizdecken ermöglicht. Außerdem sollte sie auf die Installation einer PV-Anlage und die extensive Begrünung ausgelegt sein. Überdies war vorgesehen, die Nutzungsflexibilität des Gebäudes so zu erweitern, dass es für Veranstaltungen mit mehr als 200 Personen dienen kann – die Halle also den Kriterien der deutschen Versammlungsstättenverordnung entspricht. „Weil all das mit der alten Betondecke und ihren geringen Traglastreserven nicht machbar war, mussten wir uns eine Lösung einfallen lassen, die sowohl mit den Anforderungen an den Klima- und Ressourcenschutz als auch mit der Feuerwiderstandsklasse F 30 vereinbar ist“, so Heiko Fassbender.
Neue Leichtigkeit
Bei der Entwicklung des neuen Dachsystems folgte K+S drei Leitgedanken: Erstens, dank der gut erhaltenen Substanz des Bauwerks konnten alle Stützen, Wände und das gesamte Untergeschoss erhalten und weiter genutzt werden. Zweitens, die Neukonstruktion musste Lastreserven zur Integration der klimatechnischen und energetischen Gewerke bieten. Und drittens galt es die erwähnten Brandschutz-Anforderungen zu berücksichtigen. „Wir entschieden uns daher für den Rückbau der alten Attika und der alten Dachdecke bis zur Oberkante der Kragstützen sowie zur Entwicklung einer neuen F 30-konformen Dachkonstruktion mit neuem Lastkonzept“, erläutert der Tragswerkplaner.
In Zusammenarbeit mit den im Schul- und Sporthallenbau erfahrenen Kollegen von Loewer + Partner legte das Projektteam von K+S hierbei viel Kreativität, Augenmaß und Detailkompetenz an den Tag. Es entwickelte eine mehrschichtige Leichtbau-Konstruktion, die auf den Stahlbetonstützen des Bestands nahtlos aufsetzt, alle Anforderungen erfüllt und sich in energetischer Hinsicht sogar dem Standard moderner Passivhäuser annähert. Als lastabtragende Komponenten kommen in jeder Tragachse schlanke Holzbinder aus Brettschichtholz zum Einsatz, die der Feuerwiderstandklasse F 30 entsprechen. Darüber liegen Trapezbleche mit einer Perforation, die die Raumakustik der Halle verbessert. Auf dem Trapezblech befindet sich die Dämmschicht, die – um den hohen energetischen Standards städtischer Sanierungsprojekte zu genügen – eine Dicke von etwa 30 cm aufweist. Den wasserdichten Abschluss bildet ein Gründach, das Niederschlagswasser bei Starkregen im Abfluss drosselt. Den Aufbau einer modernen PV-Anlage sieht das neue Lastkonzept ebenfalls vor. Weitere Lastreserven sind für die Anbringung der Kühl-/ Heizdecken angesetzt. „Insgesamt wurde das Lastkonzept der neuen Dachkonstruktion mit 2,50 kN/m2 etwas unter den Wert der alten, massiven Bestandskonstruktion ausgelegt“, sagt Heiko Fassbender. Dadurch ergibt sich zusätzlicher Freiraum für die Anbringung von Sportgeräten und energiesparenden Beleuchtungskörpern.
Innovative Lösung mit Vorbildcharakter
Die von K+S geplante neue Dachkonstruktion hat großen Anteil daran, dass die grundhafte Sanierung der Sporthalle des Darmstädter Lichtenberg-Gymnasiums als Vorbild für viele ähnliche kommunale Sanierungsprojekte dienen kann. Zumal die konsequent umgesetzte Kombination von Bestandsschutz einerseits sowie statisch-konstruktiver und energetischer Modernisierung andererseits sich unter dem Strich als wirtschaftliche Gesamtlösung erwies. „Ein Abriss der alten Halle mit anschließendem Neubau hätten der Stadt vermutlich erheblich höhere Baukosten beschert – den Gewinn an Nachhaltigkeit und Klimaschutz durch die Berücksichtigung des Faktors Graue Energie noch gar nicht miteinkalkuliert!“, betont Heiko Fassbender. MS
Objekt: Schulsporthalle des Lichtenberg-Gymnasiums Darmstadt
Projekt: Grundhafte, energetische Sanierung von Halle und Neben- bzw. Zwischengebäuden
Sanierungsdauer: Februar 2022 bis Oktober 2024 (Einweihung November 2024)
Aufwand: Gesamt ca. 5,4 Mio. Euro / Baukosten ca. 3,5 Mio. Euro
Bauherr: Eigenbetrieb Immobilienmanagement der Stadt Darmstadt (IDA)
Architekt/ Bauleitung: Loewer + Partner, Darmstadt
Tragwerk/ Statik/ Dachkonstruktion: Kleinhofen + Schulenberg, Darmstadt