Deutsche kaufen selten an ihrem Wohnort ein - GfK-Studie zur Einzelhandelszentralität 2023
2023 haben die Deutschen durchschnittlich 6.667 Euro pro Kopf für Ausgaben im Einzelhandel zur Verfügung. Allerdings geben sie ihr Geld überwiegend nicht an dem Ort aus, an dem sie leben. Vor allem viele deutsche Mittelstädte haben eine starke Anziehungskraft auf ihr Umland und profitieren mit ihrem starken Handelsangebot von weiterem Kaufkraftzufluss.
Damit stellen sie attraktive Einzelhandelsstandorte dar. Dies ist eines der Ergebnisse der neuen GfK-Studie zur Einzelhandelszentralität 2023.
Die Verteilung der Einzelhandelskaufkraft fällt dabei regional sehr unterschiedlich aus und variiert 2023 von 8.555 Euro im Landkreis Starnberg bis 5.645 Euro im Stadtkreis Gelsenkirchen. Nicht alles davon fließt jedoch in den stationären Handel, und oft auch nicht in den Handel am Wohnort. Ein Vergleich der Einzelhandelskaufkraft mit den regionalen Einzelhandelsumsätzen ergibt dabei die Einzelhandelszentralität, die die Anziehungskraft des regionalen Einzelhandels misst. Diese zeigt, welche Regionen dank Kaufkraftzuflüssen von überdurchschnittlichen stationären Einzelhandelsumsätzen profitieren und wo hingegen Kaufkraftabflüsse zu verzeichnen sind. Werte über 100 stehen für einen Kaufkraftzufluss, Werte unter 100 für einen Kaufkraftabfluss.
2023 gibt es insgesamt 182 deutsche Kreise mit Kaufkraftzufluss, während in 218 Kreisen ein Kaufkraftabfluss zu beobachten ist. Naturgemäß verzeichnen überwiegend Stadtkreise Kaufkraftzuflüsse, denn hier ballt sich der Einzelhandel und hat eine hohe Anziehungskraft auf das Umland.
Mittelstädte gewinnen weiterhin an Attraktivität
Auch 2023 führen vor allem Mittelstädte das Zentralitätsranking an. Deutlicher Spitzenreiter ist nach wie vor Zweibrücken. Mit einer Einzelhandelszentralität von 223,0 konnte sich der Stadtkreis mit seiner Outlet City im Vergleich zum Vorjahr um mehr als 10 Punkte steigern. Auf dem zweiten und dritten Platz folgen die beiden Stadtkreise Straubing (198,3) und Kaiserslautern (191,1), die sich zu 2022 um jeweils einen Rang steigern konnten. Ebenfalls um einen Platz verbessert hat sich der Stadtkreis Hof (176,1), der auf den achten Rang rückt; Koblenz kann sogar drei Plätze gut machen und belegt mit einer Einzelhandelszentralität von 180,2 in diesem Jahr den fünften Rang.
Viele der Städte in den Top 10 stellen Mittelzentren für das eher ländliche Umfeld dar. Außerhalb der Stadtgrenzen sind meist nur wenige und dünn gestreute Einzelhandelsangebote zu finden. Diese Städte haben also gemeinsam, dass sie ein großes Einzugsgebiet bedienen, in dem relativ viel Kaufkraft steckt. Dies führt dazu, dass die Kaufkraft aus dem ländlich geprägten Umland in die angrenzenden Versorgungszentren fließt, was zu einem deutlichen Kaufkraftüberschuss führt.
Diese Anziehungskraft wird auch beim letztplatzierten Kreis des Zentralitätsrankings deutlich. Mit einer Einzelhandelszentralität von 62,3 bildet der Landkreis Straubing-Bogen das Schlusslicht unter allen 400 deutschen Stadt- und Landkreisen, während der Stadtkreis Straubing bundesweit den zweiten Platz belegt. Die ganz großen Städte sind im vorderen Feld hingegen nicht zu finden: Die bestplatzierte Millionenstadt ist Köln, das mit einer Einzelhandelszentralität von 112,7 auf Rang 82 liegt. Die Hauptstadt Berlin belegt mit einem Wert von 101,6 den 175. Rang und verschlechtert sich im Vergleich zum Vorjahr um 24 Plätze.
„Der Trend der letzten Jahre setzt sich fort“, kommentiert Filip Vojtech, Einzelhandelsexperte im Bereich Geomarketing von GfK. „Mittelstädte gewinnen zunehmend an Bedeutung, während die ganz großen Städte an Attraktivität als Einzelhandelsstandorte verlieren. So verschlechtert sich Hamburg im Zentralitätsranking zum Beispiel um 12 Ränge verglichen mit 2022, bei Berlin sind es sogar 24 Ränge. Das ist aber auch nicht allzu verwunderlich, denn das Arbeiten im Homeoffice ist seit der Pandemie zum Alltag in der deutschen Arbeitswelt geworden. Diese Pendler fehlen jetzt in den Großstädten, sie kaufen stattdessen näher an ihrem Wohnort und in den Mittelzentren ein.“
Insgesamt 461,9 Milliarden Euro fließen 2023 in den stationären Einzelhandel
Ein Blick auf den Einzelhandelsumsatz in Summe zeigt auf, wo die Masse an Umsatzpotenzial zu finden ist. Naturgemäß liegen hier die einwohnerstärksten deutschen Kreise auf den vorderen Rängen. Im Ranking nach Gesamt-Einzelhandelsumsatz liegt Berlin deutlich auf dem ersten Platz: In der Hauptstadt fließen rund 20,3 Mrd. Euro in den stationären Einzelhandel, was einen Anteil von 4,40 Prozent am gesamten Umsatz in Deutschland ausmacht. Auf den Rängen zwei und drei folgen Hamburg (2,57 Prozent) und München (2,42 Prozent).
Die Kreise in den Top 10 machen in Summe 16,83 Prozent des gesamten stationären Einzelhandelsumsatzes in Deutschland aus, womit auch hier der Anteil der umsatzstärksten Kreise von Jahr zu Jahr immer weiter schrumpft. Lediglich die Region Hannover konnte mit einem Anteil von 1,54 Prozent am stationären Handels-Gesamtumsatz seinen Vorjahresanteil halten. Alle anderen Großstädte in den Top 10 haben Anteile verloren. Dennoch üben starke Einzelhandelsstandorte eine verstärkte Anziehungskraft auf die Konsumenten aus.
Ein Blick auf die rechnerischen Einzelhandelsumsätze pro Kopf zeigt, dass hier, wie auch bei der Einzelhandelszentralität, die Mittelstädte das Feld anführen. Diese haben Pro-Kopf-Werte, die bis zu mehr als dem Doppelten des Landesdurchschnitts von 5.549 Euro entsprechen. Den ersten Platz im Kreisranking nach Einzelhandelsumsatz je Einwohner belegt der Stadtkreis Zweibrücken, gefolgt von den Stadtkreisen Straubing und Passau. Schlusslicht ist wie im Vorjahr der Landkreis Kaiserslautern mit einem Pro-Kopf-Umsatz von 3.123 Euro. Neu in den Top 10 nach Einzelhandelsumsatz pro Einwohner sind in diesem Jahr die Stadtkreise Weiden in der Oberpfalz und Ansbach auf den Rängen neun und zehn.
HINWEIS: Die Werte je Einwohner sind rein mathematische Vergleichsgrößen, da der Einzelhandel am jeweiligen Ort keineswegs nur von den Einwohnern dieses Ortes bestritten wird. Indem man die Einzelhandelsumsätze ins Verhältnis zu den Einwohnerzahlen setzt, ergibt sich jedoch ein erster Anhaltspunkt über die Anziehungskraft des Einzelhandels in dem jeweiligen Gebiet.
In und um Starnberg sitzt das meiste Geld für Einkäufe im Einzelhandel
Für Händler und Hersteller ist es ebenso wichtig zu wissen, wo das Nachfragepotenzial sitzt, bevor dieses in den Einzelhandel fließt. Die Einzelhandelskaufkraft zeigt das durchschnittliche Ausgabepotenzial für den Einzelhandel am Wohnort der Menschen auf. Das Wissen um den Wohnort der Zielgruppe ermöglicht es beispielsweise, Filialen im Lebensmitteleinzelhandel wohnortnah und Werbekampagnen gezielt planen zu können.
Wie in den Vorjahren liegt der Landkreis Starnberg beim Kreisranking nach Einzelhandelskaufkraft auf dem ersten Platz. Mit 8.555 Euro pro Kopf haben die Starnberger über 28 Prozent mehr Geld für ihre Ausgaben im Einzelhandel zur Verfügung als der Durchschnittsdeutsche. Rangänderungen in den Top 10 gibt es in diesem Jahr nur auf den Plätzen zwei und drei. So zieht der Landkreis München mit einer Pro-Kopf-Einzelhandelskaufkraft von 8.172 Euro am gleichnamigen Stadtkreis, in dem die Einwohner ein sieben Euro niedrigeres Ausgabepotenzial haben, vorbei. Den letzten Platz belegt erneut der Stadtkreis Gelsenkirchen: In der Großstadt im Ruhrgebiet stehen den Menschen durchschnittlich 5.645 Euro pro Kopf für ihre Ausgaben im Einzelhandel zur Verfügung. Damit liegen die Gelsenkirchener mehr als 15 Prozent unter dem Bundesdurchschnitt.
Über die Studie
Die „Sogwirkung“ einer Stadt als Einkaufsort kann dadurch gemessen werden, dass man die Nachfrage der Einwohner am Wohnort (GfK Einzelhandelskaufkraft) den Umsätzen im Einzelhandel (GfK Einzelhandelsumsatz) gegenüberstellt. Daraus ergibt sich die GfK Einzelhandelszentralität. Eine Zentralität größer als 100 bedeutet einen Kaufkraftzufluss, unter 100 einen Kaufkraftabfluss.
Der GfK Einzelhandelsumsatz spiegelt die regionale Verteilung der stationären Einzelhandelsumsätze wider. Im Gegensatz zur GfK Kaufkraft, die am Wohnort des Konsumenten erhoben wird, wird der GfK Einzelhandelsumsatz am Standort des Einzelhandels gemessen. Er ist definiert als Umsatz des Einzelhandels (ohne Kfz-Handel, Kraft- und Brennstoffe) abzüglich des Distanzhandels (eCommerce, Versandhandel). GfK berechnet den GfK Einzelhandelsumsatz jährlich. Er wird für jede regionale Ebene als Summe sowie pro Einwohner in Euro und als Index (deutscher Durchschnitt = 100) ausgewiesen. Die Berechnung erfolgt für alle deutschen Stadt- und Landkreise sowie für alle Gemeinden und Postleitzahlen mit einem Einzelhandelsumsatz von mindestens 1,5 Mio. Euro und mehr als drei Einzelhandelsbetrieben.
Für die Berechnung der Einzelhandelskaufkraft werden die Ausgaben für die Warengruppen Nahrungs- und Genussmittel, Kleidung und Schuhe, übrige Güter für die Haushaltsführung (u.a. Möbel, Bodenbeläge, Haushaltselektrogeräte, Heimtextilien, Gartenbedarfsartikel, Reinigungsmittel), Körper- und Gesundheitspflege, Bildung und Unterhaltung (z.B. TV, Radio, Bücher, Fotobedarf, Zeitschriften, Spielwaren, Sportartikel) sowie persönliche Ausstattung (Uhren, Schmuck, etc.) berücksichtigt.
Die regionalisierten Daten zur Einzelhandelszentralität liegen für viele europäische Länder vor und sind jeweils bis zur feinsten administrativen und postalischen Ebene als Prognose für das laufende Jahr verfügbar. Es handelt sich bei der Kaufkraft und den Umsatzdaten um nominale Angaben – d.h. ohne Berücksichtigung von Inflationsentwicklungen und regional verschiedenen Preisniveaus oder unterjährigen Wechselkurseffekten.
Mit der GfK Einzelhandelszentralität erhalten Einzelhändler eine objektive Messgröße dafür, welcher Region, welcher Stadt oder welcher Postleitzahl innerhalb einer Stadt es gelingt, mit dem vorhandenen Einzelhandelsangebot besonders viel Kaufkraft anzuziehen und zu binden. Sie ist somit für die Standortplanung und -bewertung unverzichtbar. Die Einzelhandelszentralität sollte bei Expansionsentscheidungen jedoch im Zusammenhang mit den Einwohnerzahlen, dem GfK Einzelhandelsumsatz und der GfK Einzelhandelskaufkraft betrachtet werden. Alle drei Kennziffern sind standardmäßig in der Studie „GfK Einzelhandelszentralität“ enthalten.
Zu den regionalen Marktdaten von GfK: siehe Link