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21.06.2022 | Messen, Veranstaltungen und Wettbewerbe

Techtextil und Texprocess senden mit ihren Innovation Awards textile Innovations- und Umsatzimpulse

Nach dreijähriger Corona-Pause verleihen die Leitmessen Techtextil und Texprocess wieder die renommierten Innovation Awards. Die prämierten Neuentwicklungen aus Bereichen wie Neue Produkte, Nachhaltigkeit und Automatisierung zeigen: Textile Innovationen und Technologien sind Impulsgeber für viele Industriezweige und versprechen Markt- und Umsatzerfolge weit über die eigene Branche hinaus. Kaltkleberoboter soll Nahtkleben revolutionieren

13 Gewinner aus sieben Kategorien werden heute am 21. Juni 2022 im Rahmen einer öffentlichen Preisverleihung auf der Techtextil und Texprocess ausgezeichnet.

Wie für viele andere Branchen, sind die Zeiten auch für die Textilindustrie fordernd: Coronafolgen, Ukraine-Krieg, angespannte Lieferketten, Nachhaltigkeitsfragen, steigende Energiepreise und Nachwuchssorgen – die Branche steht von vielen Seiten unter Druck. Doch wie kaum eine andere steht sie auch dafür, Transformationszwängen mit neuen Ideen, Entwicklungen und Geschäftsmodellen zu begegnen. Exemplarisch zeigen das in diesem Jahr erneut die Innovation Awards der Leitmessen Techtextil und Texprocess. Die insgesamt 13 Preisträger beweisen mit neuen Produkten, Materialen, Lösungen und Verfahren beispielhaft: Textile Innovationen sind der Königsweg, um aus den Herausforderungen der Gegenwart die Marktchancen und Umsatzerfolge der Zukunft zu machen.

Weltneuheit: Erste gewebte Herzklappe ohne Nachkonfektionierung

In der Kategorie „New Product“ geht der Techtextil Innovation Award an das Institut für Textilmaschinen und Textile Hochleistungswerkstofftechnik (ITM) der TU Dresden. Gemeinsam mit Medizinprodukteherstellern und Herzchirurgen aus dem Herzzentrum Dresden und der Uniklinik Würzburg ist es Textilforscher*innen vom ITM gelungen, die weltweit erste gewebte Herzklappe zu entwickeln, die ohne eine einzige Naht oder sonstige Fügetechnik auskommt. „Unsere Neuentwicklung soll künftig auch Kindern mit Herzklappenfehlern helfen, indem sie – wiederholte chirurgische Eingriffe vermeidend – mit dem Herz der kleinen Patienten mitwächst“, sagt Dr.-Ing. Dilbar Aibibu, Forschungsgruppenleiterin Bio- und Medizintextilien am ITM. Weltweit gehören Herz-Kreislauf-Erkrankungen zu den häufigsten Todesursachen; mehrere Millionen Menschen sterben daran jährlich. Erhalten Patienten Herzklappen-Ersatz, kommen in der Regel künstlich-mechanische oder biobasierte Lösungen zum Einsatz. Geht es nach dem ITM, soll die mit dem Techtextil Innovation Award ausgezeichnete gewebte Klappe künftig eine vorteilhafte Alternative werden.

Nachnutzung von Abfällen aus natürlicher Quelle

In der Kategorie „New Material“ erhält die RBX Créations (Frankreich) den Innovationspreis für eine neuartige Zellulosefaser aus Hanfabfällen. Das Material mit dem Namen Iroony®  wurde vor dem Hintergrund folgender Frage entwickelt: Hanf wird heute entweder zur Herstellung von Fasern oder zur Produktion von Hanföl angebaut – aber ließe sich nicht beides kombinieren? RBX Créations ist es nun gelungen, einen Prozess zur Gewinnung von Zellulose aus den Abfällen des Ölsaat-Hanfes zu entwickeln. Versponnen zu Textilfasern, lassen sich so nachhaltige Textilien, Verpackungen und andere „grüne“ Produkte herstellen. Den Preis erhält RBX Créations für die kontinuierlichen wie erfolgreichen Bemühungen, Abfälle aus einer regenerativen Quelle in eine werthaltige Zellulosefaser umzuwandeln, die höchsten Nachhaltigkeitsstandards entspricht.

Abschirmtechnik aus Fasern für Krankenhäuser, Elektroautos und Serverfarmen

Der Techtextil Innovation Award in der Kategorie „New Technology“ geht an die Aachener FibreCoat GmbH und die Deutsche Basalt Faser GmbH aus Sangerhausen (Sachsen-Anhalt) für die gemeinsame Entwicklung einer aluminiumbeschichteten Basaltfaser. Sie vereint die Festigkeit von Basalt mit der elektrischen Leitfähigkeit von Aluminium. Nach Angaben von FibreCoat sollen elektromagnetische Abschirmungen als Tapeten in Gebäuden unter anderem in Krankenhäusern oder Serverfarmen dank der Neuentwicklung bis zu 20-mal günstiger sein als mit herkömmlicher Alufolie. Ein weiterer attraktiver und besonders schnell wachsender Markt: Abschirmlösungen für Elektroautos. Robert Brüll, CEO von FibreCoat: „Für ein junges Unternehmen wie unseres ist der Gewinn des Techtextil Innovation Award ein wichtiger Meilenstein. Wir fühlen uns geehrt, diesen renommierten Preis durch die unabhängige Fachjury verliehen zu bekommen. Insbesondere das dadurch gewonnene Vertrauen unserer Kunden und die Sichtbarkeit sind für ein Start-up wie FibreCoat entscheidend auf dem Weg zum Markterfolg.“

Nachhaltigere Hygieneprodukte wie Windeln

Die Kelheim Fibres GmbH aus dem bayerischen Kelheim und das Sächsische Textilforschungsinstitut (STFI) aus Chemnitz erhalten den Techtextil Innovation Award in der Kategorie „New Concept“ für die Entwicklung neuartiger, thermisch verfestigter Vliesstoffe auf Zellulosebasis zur Herstellung wiederverwendbarer Produkte mit hoher Saugfähigkeit. Verbraucher*innen sollen nicht mehr zwischen leistungsstarken oder umweltfreundlichen Produkten entscheiden müssen. Natur und Performance von Hygiene-Produkten gehen dank der Innovation von Kelheim, dem STFI und dem Berliner Start-up SUMO Hand in Hand. Dr. Marina Crnoja-Cosic, Director New Business Development bei Kelheim Fibres: „Es ist uns eine große Ehre und Freude, den Techtextil Innovation Award gemeinsam mit unseren Partnern entgegenzunehmen. Den Preis sehen wir nicht nur als Auszeichnung für das vorgestellte Projekt, sondern auch als Anerkennung unserer Innovationsstrategie. Denn im Dialog mit Partnern können wir schneller auf aktuelle Trends reagieren, gezielter entwickeln und die Kommerzialisierung innovativer Lösungen beschleunigen.“

Abfälle aus Automobilindustrie als Ressource

Ein weiterer Techtextil Innovation Award in der Kategorie „New Approaches on Sustainability & Circular Economy“ würdigt ein Verfahren, das Naturlederabfälle aus der Automobilindustrie zur Herstellung innovativer Textilbeschichtungen nutzt. Entwickelt wurde es vom CITEVE, dem Technologiezentrum für Textil- und Bekleidungsindustrie in Portugal, und den Partnern ERT Têxtil Portugal, CeNTI und CTIC (alle Portugal). Nachdem CITEVE –Forscher festgestellt hatten, dass bei Schneidearbeiten in der Automobilindustrie eine große Menge als Abfall eingestuftes Naturleder anfällt, suchten sie nach einer Lösung zu dessen Wiederverwendung. Die Fachjury würdigt die Entwicklung als gelungene industrielle Symbiose: „Abfälle aus einem Industriezweig werden hier in einem anderen als Ressource genutzt. Die Arbeit der CITEVE -Forscher unterstützt damit einen wichtigen Trend hin zu einer ressourceneffizienten, umweltfreundlichen und nachhaltigen Textilindustrie.“

Kompostierbare Textilbeschichtung

Der Techtextil Innovation Award in der Kategorie „New Approaches on Sustainability & Circular Economy“ geht an das Textilforschungsinstitut Centexbel (Belgien) für eine biobasierte und kompostierbare Dispersion für Textilbeschichtungen und Druckfarben.
Die Neuentwicklung kommt ohne Lösungsmittel aus und bringt eine völlig neue Art von Polymer für Beschichtungen und Druckfarben auf den Markt. Die Innovation, so die Fachjury, sei ein wichtiger Schritt für die Textilbeschichtungsindustrie hin zu mehr Produkten auf Grundlage erneuerbarer Ressourcen.

Mode aus Ananasschale

Das italienische Unternehmen Vérabuccia wird in der Kategorie „Performance Fashion Award“ für ein innovatives Produktionsverfahren für den Mode- und Designbereich ausgezeichnet. Mit dem patentierten Verfahren sollen Fruchtabfälle in Fashion-Highlights verwandelt werden. Ein erstes Material ist das sogenannte „Ananasse“. Die Besonderheit daran laut Vérabuccia: Im Gegensatz zu anderen Pflanzenledern, die zur Imitation von echtem Tierleder tendieren, behält es das ursprüngliche Aussehen einer Ananasschale bei; dadurch werde der Ursprung des Rohstoffs hervorgehoben. Die Jury würdigt mit dem Techtextil Innovation Award das unkonventionelle Denken des jungen italienischen Labels, das mit seiner Originalität beweise, dass sich aus überraschenden Materialien innovative und ansprechende Mode entwickeln lasse.

100 Prozent kompostierbares Bindemittel für Vliesstoffe

In der Kategorie „New Technology“ erhält die Firma OrganoClick (Schweden) den Techtextil Innovation Award für die Entwicklung eines zu 100 Prozent biobasierten Bindemittels für Vliesstoffanwendungen, das aus Abfallkomponenten hergestellt wird und deshalb vollständig kompostierbar sein soll. Die Innovation soll kunststoffbasierte Bindemittel ersetzen. Weil Vliesstoffe oft aus nicht-abbaubaren Kunststoffen hergestellt werden, hat sich das schwedische Unternehmen darauf spezialisiert, kompostierbare Material-Alternativen unter anderem aus Weizenkleie, Frucht- oder Krabbenschalen zu entwickeln. Die Jury des Techtextil Innovation Awards hat das überzeugt: „OrganoClick erhält den Preis für seine Bemühungen, biobasierte Rohstoff-Alternativen zu finden, um erdölbasierte Materialien zu ersetzen.”

Formaldehydfreies & biobasiertes Beschichtungssystem

Der dritte Award in der Kategorie „New Approaches on Sustainability & Circular Economy“ geht an die Deutschen Institute für Textil- und Faserforschung Denkendorf (DITF) aus Baden-Württemberg und das Unternehmen TotalEnergies - Cray Valley (Frankreich). Gemeinsam haben sie ein neuartiges, formaldehydfreies Beschichtungssystem entwickelt. Es basiert auf ungiftigem Hydroxymethylfurfural (HMF), das aus Biomasseabfällen gewonnen wird. Diese HMF-basierten Tauchformulierungen sind in der Lage, Haftvermittler auf Formaldehydbasis im Verhältnis eins zu eins zu ersetzen. Zum Hintergrund: In Reifen, Fördergurten oder Keilriemen werden Gummimaterialien durch Cord verstärkt. Die Qualität solcher Cord-Verbundsysteme mit hochfesten Fasern wie Polyester, Aramid oder Polyamid und Kautschuk wird durch die Haftungseigenschaften der Fasern an der Matrix bestimmt. Im etablierten Herstellungsverfahren werden Haftvermittler aus Resorcin-Formaldehyd-Latex (RFL) eingesetzt. Formaldehyd ist jedoch seit 2014 von der EU als nachweislich krebserregend und erbgutverändernd eingestuft. Die Jury begrüßt deshalb die gesundheits- und umweltfreundliche Neuentwicklung. Diese trage zu einer nachhaltigeren Textilindustrie und der Reduktion schädlicher Chemikalien bei. 

Texprocess Innovation Award

In der Kategorie „New Technology“ des Texprocess Innovation Awards erhalten in diesem Jahr gleich drei Preisträger die begehrte Auszeichnung:

Kaltkleberoboter soll Nahtkleben revolutionieren

Der Schweiß- und Nähmaschinenhersteller Vetron Typical Europe GmbH (Kaiserslautern) wird für einen neuartigen Kaltkleberoboter geehrt. Er soll das Abdichten von Nähten mit rückseitigem Klebeband erstmals vollständig automatisiert übernehmen. Zwar ist das Kaltkleben in vielen Branchen Stand der Technik, etwa bei Ziernähten von Armaturenbrettern oder Schließnähten in Outdoor-Kleidung. Doch weil das Klebeband dort händisch abgeschnitten werden muss, ließ sich die Technologie nicht mit den hohen Anforderungen der Prozessautomatisierung beispielsweise in der Automobilindustrie vereinen. Bis jetzt. Der neue Spezialroboter bringt das Klebeband erstmals in einem automatisierten Prozess auf und trennt es per Bandschneider auch automatisch ab. Laut Vetron stößt die auf der Texprocess zum ersten Mal öffentlich präsentierte Innovation bei der Automobilindustrie bereits auf großes Interesse.

„Neuerfindung des Stickkopfes“

Der zweite Award in der Kategorie „New Technology“ geht für einen neuartigen Stickkopf für Ein- und Mehrkopf-Stickmaschinen an die ZSK Stickmaschinen GmbH aus Krefeld. Der „R-Kopf“ soll laut ZSK Stickgeschwindigkeiten bis 2000 Stiche pro Minute erreichen. Zum Vergleich: Traditionelle Mehrkopf-Stickmaschinen kommen aktuell auf Stickgeschwindigkeiten bis maximal 1200 Stiche je Minute. ZSK will mit der Innovation eine neue Dimension der Produktivität bei höherer Stickpräzision und Zuverlässigkeit auch bei hohen Stickgeschwindigkeiten ermöglichen. Mit dem R-Kopf lassen sich laut ZSK die Lärmemissionen im Vergleich zu aktuellen Stickköpfen deutlich reduzieren. Auch sollen Kunden ihn bei Bedarf selbst austauschen können. Das Urteil der Fachjury: „Das ist die Neuerfindung des Stickkopfes.“ Hans-Rochus Groß, Leiter Anwendungstechnik bei ZSK: „Während der Entwicklung unseres neuesten Stickkopfes hat uns ein Zitat von Hermann Hesse angetrieben: ‚Um das Mögliche zu erreichen, müssen wir das Unmögliche versuchen.‘ In diesem Sinne bestätigt uns der Texprocess Innovation Award, dass wir unsere hochgesteckten Ziele erreicht haben. Der Award wird uns ein zusätzlicher Antrieb sein, auch in Zukunft ‚das maximal Mögliche‘ für unsere Kunden zu erreichen.“

Erhöhung der Produktivität und Reduzierung der Ermüdung des Nähmaschinen-Bedienpersonals

Dritter Preisträger in dieser Award-Kategorie ist Juki Central Europe (Polen), die eine automatische Spulenfaden-Wickel- und Zuführvorrichtung AW-3S entwickelt hat. Diese berechnet beim Laden eines Nähmusters nicht nur automatisch die benötigte Spulenfadenmenge, sondern kann nach Herstellerangaben den Nähfaden sogar automatisch wechseln. Damit soll AW-3S nicht nur die Produktivität erhöhen, sondern dem Bedienpersonal zugleich den manuellen Wechsel des Nähfadens ersparen. Das reduziert die Ermüdungserscheinungen des Personals, das sich stärker auf die Produktion und Qualitätskontrolle konzentrieren kann. Die Jury begrüßt die Umstellung eines manuellen auf einen automatisierten Prozess als ein weiteres Beispiel für Industrie 4.0.

Digitalisierung der Nähindustrie vorantreiben

Der Industrienähmaschinenhersteller Dürkopp Adler erhält den Texprocess Innovation Award in der Kategorie „New Digitalization“ für sein Softwaremodul „QONDAC Guided Working“. Das Unternehmen aus Bielefeld will damit die Digitalisierung in der Nähindustrie auf eine neue Ebene heben. Im Zusammenspiel mit programmierbaren Nähmaschinen soll QONDAC Guided Working zum perfekten Bindeglied zwischen Planung, Bedienpersonal und Maschine werden, indem es die Prozesse von der Produktionsplanung bis hin zum letzten Arbeitsschritt am finalen Arbeitsplatz unterstützt. Darüber hinaus können auch manuelle Arbeitsplätze oder herkömmliche Nähmaschinen einfach in das Netzwerk eingebunden werden. Niklas Böckmann, Head of Digital Products bei Dürkopp Adler: „Der Texprocess Innovation Award bestätigt uns in unserem Anspruch, die Digitalisierung der Nähindustrie voranzutreiben. Mit Entwicklungen wie QONDAC Guided Working wollen wir die Fertigung der Kunden nachhaltiger und effizienter gestalten, indem wir ihnen die Möglichkeit bieten, schneller auf Veränderungen in den Produktionsabläufen reagieren zu können.“