Bruttoinlandsprodukt: Ausführliche Ergebnisse zur Wirtschaftsleistung im 2. Quartal 2022
Das Bruttoinlandsprodukt (BIP) ist im 2. Quartal 2022 gegenüber dem 1. Quartal 2022 – preis-, saison- und kalenderbereinigt – nach neuesten Berechnungen um 0,1 % gestiegen und hat damit das Vorkrisenniveau des 4. Quartals 2019 erreicht. Nach Angaben des Statistischen Bundesamtes (Destatis) fiel die Entwicklung etwas positiver aus als in der Schnellmeldung am 29. Juli 2022 berichtet.
„Trotz der schwierigen weltwirtschaftlichen Rahmenbedingungen hat sich die deutsche Wirtschaft in den ersten beiden Quartalen 2022 behauptet“, sagt Dr. Georg Thiel, Präsident des Statistischen Bundesamtes. Im 1. Quartal 2022 war die deutsche Wirtschaft um 0,8 % gewachsen.
Gestützt wurde die Wirtschaft vor allem von den privaten und staatlichen Konsumausgaben. Trotz starker Preissteigerungen und Energiekrise nutzten die Verbraucherinnen und Verbraucher die Aufhebung fast aller Corona-Beschränkungen im 2. Quartal 2022, um zum Beispiel wieder mehr zu reisen und auszugehen. Die privaten Konsumausgaben waren insgesamt 0,8 % höher als im 1. Quartal (preis-, saison- und kalenderbereinigt). Der Staat erhöhte seine Konsumausgaben um 2,3 %. Während die Investitionen in Ausrüstungen – also vor allem in Maschinen, Geräte und Fahrzeuge – preis-, saison- und kalenderbereinigt gegenüber dem Vorquartal ebenfalls stiegen (+1,1 %), rutschten die Bauinvestitionen nach dem ungewöhnlich guten und milden Winter deutlich ins Minus (-3,4 %).
Der Handel mit dem Ausland nahm insgesamt zu. Obwohl im 2. Quartal 2022 unter dem Eindruck des Kriegs in der Ukraine deutlich weniger Waren nach Russland exportiert wurden als zu Beginn des Jahres, meldeten die Unternehmen insgesamt stabile Exporte: Trotz der weltweit gestörten Lieferketten wurden preis-, saison- und kalenderbereinigt 0,3 % mehr Waren und Dienstleistungen exportiert als im 1. Quartal 2022. Die Importe legten im Vorquartalsvergleich mit +1,6 % aber stärker zu.
Bruttowertschöpfung in den meisten Dienstleistungsbereichen im Plus, in der Industrie im Minus
Die preis-, saison- und kalenderbereinigte Bruttowertschöpfung war im 2. Quartal 2022 insgesamt um 0,3 % niedriger als im 1. Quartal 2022. Dabei zeigte sich in den einzelnen Wirtschaftsbereichen ein gemischtes Bild: Die Wirtschaftsleistung im Verarbeitenden Gewerbe ging um 0,5 % zurück; vor allem die energieintensiven Branchen wie die chemische Industrie sowie die Metallerzeugung und -verarbeitung dämpften die Entwicklung. In den meisten Dienstleistungsbereichen führte die Aufhebung der Corona-Beschränkungen dagegen zu einem Anstieg der Wirtschaftsleistung. Ausnahmen waren die zusammengefassten Bereiche Handel, Verkehr und Gastgewerbe (‑1,5 %), was allerdings nur am Minus im Handel lag, sowie Öffentliche Dienstleister, Erziehung und Gesundheit (-0,8 %). Im Baugewerbe sank die Bruttowertschöpfung im 2. Quartal 2022 im Vergleich zum Vorquartal preis-, saison- und kalenderbereinigt kräftig um 2,4 %.
Bruttoinlandsprodukt im Vorjahresvergleich gestiegen
Im Vorjahresvergleich war das BIP im 2. Quartal 2022 preisbereinigt 1,8 % höher als im 2. Quartal 2021. Preis- und kalenderbereinigt betrug das BIP-Wachstum des 2. Quartals 2022 im Vergleich zum Vorjahresquartal 1,7 %.
Die inländische Nachfrage legte auch im Vorjahresvergleich trotz starker Preisanstiege und globaler Unsicherheiten deutlich zu. Das gilt vor allem für die privaten Konsumausgaben, die preisbereinigt gegenüber dem 2. Quartal 2021 um 7,2 % stiegen. Der Wegfall nahezu sämtlicher Corona-Einschränkungen Ende März 2022 weckte die Reiselust der Menschen: Die Ausgaben für Dienstleistungen in den Bereichen Beherbergung und Gaststätten sowie Verkehr stiegen im 2. Quartal 2022 kräftig. Daneben gaben die privaten Haushalte auch mehr Geld für kurzlebige Güter wie Bekleidung und Schuhe aus. Für langlebige Güter wurde weniger ausgegeben, Ursachen dafür dürften neben starken Preisanstiegen auch verschärfte Lieferengpässe insbesondere bei Autos gewesen sein. Die hohen Preise für Lebensmittel sowie höhere Konsumausgaben für Dienstleistungen in der Gastronomie führten wohl zu niedrigeren preisbereinigten Konsumausgaben für Nahrungsmittel als im 2. Quartal 2021. Der Staat erhöhte seine Konsumausgaben (+1,9 %) gegenüber dem 2. Quartal 2021, was vor allem an höheren Ausgaben für soziale Sachleistungen lag. Dazu trugen neben weiterhin hohen Pflegekosten auch höhere Kosten für die Krankenversicherung bei, unter anderem wegen der ungewöhnlich hohen Zahl an Infektionskrankheiten.
Bei den Investitionen war das Bild gemischt: In Ausrüstungen wurde preisbereinigt etwas mehr investiert als ein Jahr zuvor (+0,6 %), trotz anziehender Preise und geringerer gewerblicher Pkw-Neuzulassungen. Bei den Bauinvestitionen führten dagegen hohe Baupreise, Lieferengpässe und Fachkräftemangel zu einem Rückgang von 3,9 % im Vergleich zum 2. Quartal 2021.
Der Handel mit dem Ausland nahm im Vergleich zum Vorjahr zu: Im 2. Quartal 2022 wurde insgesamt 1,9 % mehr exportiert als im 2. Quartal 2021. Die Importe nahmen im selben Zeitraum preisbereinigt um 7,2 % zu. Der Handel mit Waren fiel dabei deutlich weniger dynamisch aus als der Dienstleistungshandel. Ein Grund für den kräftigen Anstieg der Dienstleistungsimporte und -exporte im 2. Quartal 2022 war der wiedererstarkte Reiseverkehr.
Fast alle Dienstleistungsbereiche steigerten ihre Wirtschaftsleistung im Vorjahresvergleich, Baugewerbe deutlich im Minus
Insgesamt lag die preisbereinigte Bruttowertschöpfung im 2. Quartal 2022 um 2,0 % über dem Niveau des 2. Quartals 2021.
Getrieben von der Aufhebung fast aller Corona-Schutzmaßnahmen Ende März 2022 nahm die Wirtschaftsleistung im 2. Quartal 2022 in fast allen Dienstleistungsbereichen zu. Besonders stark stieg die Bruttowertschöpfung im Bereich der sonstigen Dienstleister, zu dem unter anderem die Kreativwirtschaft sowie Sport, Unterhaltung und Erholung zählen. Auch im Bereich Handel, Gastgewerbe und Verkehr gab es insgesamt einen kräftigen Anstieg um 5,9 %, was aber allein an den zweistelligen Zuwächsen im Gastgewerbe und Verkehrsbereich lag, während der Handel deutlich im Minus war. Im Baugewerbe ging die Wirtschaftsleistung ebenfalls deutlich zurück (-3,9 %), was unter anderem an den besonders starken Preissteigerungen in diesem Bereich lag. Im Verarbeitenden Gewerbe gab es dagegen nur einen leichten Rückgang von 0,6 % gegenüber dem Vorjahr.
Erwerbstätigenzahl stabil über Vorkrisenniveau
Die Wirtschaftsleistung wurde im 2. Quartal 2022 von rund 45,5 Millionen Erwerbstätigen mit Arbeitsort in Deutschland erbracht. Das waren 664 000 Personen oder 1,5 % mehr als ein Jahr zuvor und wieder mehr als vor der Corona-Krise (siehe Pressemitteilung Nr. 351/22 vom 18. August 2022).
Die durchschnittlich geleisteten Arbeitsstunden je Erwerbstätigen waren um 0,5 % geringer als im 2. Quartal 2021, was vor allem mit einem höheren Krankenstand und mehr genommenen Urlaubstagen zusammenhängt. Das gesamtwirtschaftliche Arbeitsvolumen – also die Gesamtzahl der geleisteten Arbeitsstunden aller Erwerbstätigen – nahm dadurch nur um 1,0 % zu. Das ergaben erste vorläufige Berechnungen des Instituts für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung (IAB) der Bundesagentur für Arbeit.
Die gesamtwirtschaftliche Arbeitsproduktivität – gemessen als preisbereinigtes BIP je Erwerbstätigenstunde – nahm nach vorläufigen Berechnungen gegenüber dem Vorjahresquartal um 0,7 % zu. Je Erwerbstätigen war sie um 0,3 % höher als im 2. Quartal 2021.
Einkommen und Konsum steigen kräftig, Sparquote im Vorjahresvergleich rückläufig
In jeweiligen Preisen gerechnet war das BIP im 2. Quartal 2022 um 7,8 % und das Bruttonationaleinkommen um 7,2 % höher als ein Jahr zuvor. Das Volkseinkommen war nur 3,1 % höher als im 2. Quartal 2021. Während das Arbeitnehmerentgelt um 5,6 % gegenüber dem Vorjahr anstieg, verzeichneten die Unternehmens- und Vermögenseinkommen nach ersten vorläufigen Berechnungen einen Rückgang um 3,0 %. Im Vorjahresquartal war das Arbeitnehmerentgelt gegenüber dem 2. Quartal 2020 mit 5,1 % ähnlich stark gestiegen, während die Unternehmens- und Vermögenseinkommen mit 39,9 % kräftig zugenommen hatten.
Die Bruttolöhne und -gehälter der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer lagen im 2. Quartal 2022 um 6,1 % über dem Niveau des 2. Quartals 2021, die Nettolöhne und -gehälter um 5,9 %. Im Durchschnitt je Arbeitnehmerin und Arbeitnehmer nahmen die Löhne und Gehälter etwas weniger stark zu (brutto +4,3 %, netto +4,1 %). Das verfügbare Einkommen der privaten Haushalte war 6,4 % höher als vor einem Jahr. Die privaten Konsumausgaben in jeweiligen Preisen lagen 14,3 % über dem Vorjahreswert. Während die privaten Haushalte in den beiden stark von der Corona-Pandemie betroffenen Jahren 2020 und 2021 weniger konsumiert und mehr gespart hatten als gewöhnlich, führten im 2. Quartal 2022 die Aufhebung nahezu sämtlicher Corona-Einschränkungen einerseits und die starken Preisanstiege andererseits zu stark steigenden nominalen Konsumausgaben und einer Sparquote auf Vorkrisenniveau: Diese lag nach vorläufigen Berechnungen bei 10,1 % (nach 16,5 % im 2. Quartal 2021).
Die deutsche Wirtschaft im internationalen Vergleich
In den anderen großen Mitgliedstaaten der Europäischen Union (EU) hat die Wirtschaft im 2. Quartal 2022 stärker zugelegt als in Deutschland: So stieg das preis-, saison- und kalenderbereinigte BIP im Vergleich zum 1. Quartal 2022 in Spanien um 1,1 %, in Italien um 1,0 % und in Frankreich um 0,5 %. Einige kleinere Länder verzeichneten hingegen ähnliche Zuwächse wie Deutschland (+0,1 %) oder sogar leichte Rückgänge. Für die EU insgesamt meldete das europäische Statistikamt Eurostat nach vorläufigen Berechnungen einen BIP-Anstieg um 0,6 % gegenüber dem Vorquartal. Die Wirtschaftsleistung der Vereinigten Staaten (USA) nahm im Gegensatz zur Entwicklung in Deutschland und der EU im 2. Quartal 2022 um 0,2 % ab. Im Vorjahresvergleich liegen die BIP-Wachstumsraten der anderen EU-Mitgliedstaaten fast alle höher als in Deutschland.
Verglichen mit dem 4. Quartal 2019, dem Quartal vor Beginn der Corona-Pandemie, zeigt sich, dass das BIP in Deutschland im 2. Quartal 2022 erstmals wieder das Vorkrisenniveau erreichte (0,0 %). Hingegen lag die Wirtschaftsleistung in Spanien (‑2,5 %) weiterhin deutlich unter dem Niveau des 4. Quartals 2019, während die EU insgesamt (+2,0 %), Frankreich (+1,0 %) und Italien (+1,0 %) ihr Vorkrisenniveau übertrafen. Die Vereinigten Staaten verzeichneten trotz des leichten Rückgangs ein noch stärkeres Wachstum von 2,5 % im Vorkrisenvergleich.