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11.05.2021 | Baustoffe, Gebäudemanagement, Stadtplanung

Land Berlin nimmt radikale Bauwende ins Visier

6. Fachdialog „Urbaner Holzbau“: Weitere CO2-Einsparungen mit dem Ziel der Klimaneutralität lassen sich nur mit einer Kehrtwende in der Bauweise erreichen.

Stefan Tidow, Staatssekretär der Senatsverwaltung für Umwelt, Verkehr und Klimaschutz Berlin (SenUVK). Screenshot: Kollaxo

Mit rund 300 Anmeldungen stieg das Interesse am Fachdialog „Nachhaltiger Holzbau“ von Berliner Senatsverwaltung für Umwelt, Verkehr und Klimaschutz und Gesamtverband Deutscher Holzhandel e.V. (GD Holz) auf einen neuen Rekordwert. Hier im Bild die Referenten und Veranstalter. Screenshot: Kollaxo

Die vom Berliner Senat beschlossene Klimanotlage macht es erforderlich, eine Ressourcenwende bei der Berliner Bauwirtschaft zu vollziehen. Unter den ressourcenschonenden und klimaverträglichen Baustoffen kommt Holz die größte Bedeutung zu. Um Praxiserfahrungen der letzten Jahre mit Architekten und Planern aus ganz Deutschland zu teilen, veranstalteten die Berliner Senatsverwaltung für Umwelt, Verkehr und Klimaschutz und der Gesamtverband Deutscher Holzhandel e.V. (GD Holz) am 6. Mai 2021 den 6. gemeinsamen Fachdialog „Urbaner Holzbau“ als Online-Konferenz mit rund 300 Baufachleuten.

In seinem Grußwort mahnte Stefan Tidow, Staatssekretär der Senatsverwaltung für Umwelt, Verkehr und Klimaschutz Berlin (SenUVK), den hohen Ressourceneinsatz im Bauwesen zu überdenken. Denn rund 60 Prozent aller verwendeten Ressourcen werden in der Bauwirtschaft verarbeitet. Er folgerte: „Wir müssen nun konsequent handeln und die Bauwende aktiv angehen. Die Bauwirtschaft muss ihre Prozesse auf eine zirkuläre Wertschöpfung umstellen — und zwar von der Planung über die Erstellung, den Betrieb bis zum Rückbau sowie zu einer umfassenden lebenszyklusbegleitenden Dokumentation. Nur damit sind Klimaschutz, Kostenverträglichkeit und Ressourcenschutz miteinander zu vereinen.“ Das Land Berlin wolle bundesweit Vorreiter bleiben und bei der Entwicklung von über 16 neuen Quartieren dem nachwachsenden Baustoff Holz bei öffentlichen Gebäuden – wie bereits 2019 beschlossen – konsequent den Vorzug einräumen. Damit dies auch wirklich nachhaltig geschehe, müsse das Holz aus nachhaltiger und legaler Waldwirtschaft stammen und dies von den Holzbaufirmen durch die Vorlage eines FSC®-Zertifikates oder des gleichwertigen PEFC-Zertifikates dokumentiert werden.

Mit dem richtigen Prozess zur erfolgreichen Freimessung von Holzbauten Als ersten Referenten der von der Architektenkammer Berlin anerkannten Bildungsveranstaltung begrüßte Moderatorin Dr. Katharina Gamillscheg, stellvertretende Geschäftsführerin des GD Holz und Vorstandsmitglied im Landesbeirat Holz BerlinBrandenburg, Dipl.-Ing. Ulrich Bauer. Der Vorsitzende des Verbandes Baubiologie e.V., zeichnete nach, wie eine Prozessbegleitung bei der schadstoffarmen Baustoffwahl zu perfekten Ergebnissen bei der Raumluftmessung in drei Berliner KiTas führte. Dies gelang, weil die Baubiologie bereits in der Ausschreibung verankert wurde und wichtige Maßnahmen gewährleistete, darunter die Prüfung der Materialien vor dem Einbau, die Einweisung der Handwerker sowie die Messung der Innenraumemissionen in der finalen Kombination aller Materialien, Bauteile und Möbel (VOC / Terpene, Formaldehyd, CO2).

„Wir wollen Holzbau – aber er muss geplant sein“ Auf die entscheidende Bedeutung der Planung wies Dipl.-Ing. Ansgar Hüls, Hüls Ingenieure Tragwerke aus Holz, in seinem Vortrag hin. Mit ihr gehörten vermeintliche Schwachstellen des Holzbaus – der Feuchte-, der Schall- und der Brandschutz – endgültig der Vergangenheit an. Hüls wörtlich: „Fehler liegen nicht am Holz, sondern an mangelnder Planung.“ Er forderte Mut beim Zeichnen und Freude an der Detailarbeit. Als ein eigenes Resultat stellte Hüls einen Fünfgeschosser in Leipzig-Lindenau vor, der eine Anerkennung im Rahmen des Deutschen Ingenieurbaupreises 2020 erhielt.

Ein zweites Referenzobjekt porträtierte Architektin Vera Hartmann, Partnerin bei Sauerbruch Hutton: die Erweiterung der Berlin Metropolitan School in Berlin Mitte. Sie führte mit Fotos und Skizzen durch die Bauphasen und zeigte, was innovative Holzarchitektur mit einer atemberaubenden Dachaufstockung aus einem Plattenbau machen kann.

Ein Blick in die Forschung: Sprunginnovation mit Lowtech „Holz, Ziegel, Lehm“ ist ein Forschungsprojekt zur Nachhaltigkeit im Geschosswohnungsbau. Vorgestellt wurde es von Alexander Stolzenberg von der STADT UND LAND Wohnbauten-Gesellschaft mbH, die mehr als 50.000 eigene Wohnungen im Süden und Südosten Berlins bewirtschaftet. Ziel des Unternehmens ist die Steigerung der landeseigenen Wohnungen auf 400.000 bis zum Jahr 2026. Als Ko-Referent brachte sich Prof. Eike Roswag-Klinge, ZRS Architekten GvA mbH und TU Berlin, ein.

Erforscht werden soll, inwieweit Aspekte der Nachhaltigkeit, Ressourcenschonung und Energieeffizienz in den Berliner Wohnungsneubau eingebracht werden können, der unter dem Druck hoher Stückzahlen und geringer Kosten steht. Kann durch einen intensiveren Einsatz in der Planungs- und Bauphase, durch die Verwendung ökologischer Konzepte und Materialien, mit ggf. auch höheren Errichtungskosten, ein wirtschaftlich konkurrenzfähiges Produkt erzeugt werden?

Um die ökologische und ökonomische Wirkung von Gebäuden im Lebenszyklus zu vergleichen (LCA Life Cycle Assessment; LCC Life Cycle Cost Assessment), werden zwei baugleiche Geschosswohnungsgebäude errichtet und langfristig wissenschaftlich beobachtet, gemessen und bewertet. In der aktuellen Konzeptionsphase sind ein Gebäude im Ziegel-Holzbausystem und ein reiner Holzbau angedacht. Die Baufertigstellung soll Mitte 2024 erfolgen.

„Wir müssen radikal umsteuern und aus dem bisherigen Denksystem raus“, erklärte Prof. Roswag-Klinge und erläuterte: „Sprunginnovationen sind absolut notwendig. In diesem Projekt heißt das: robustes, einfaches, solides, langlebiges und zirkuläres Bauen mit Holz, Lehm, Kalk, Naturfasern. Lowtech-Bauen – ohne Lüftungs- und Klimatechnik.“ Im Auftrag der Senatsumweltverwaltung erarbeitete Architektin Elise Pischetsrieder, weberbrunner berlin Gesellschaft von Architekten mbH, in Zusammenarbeit mit Merten Welsch, BBSR, Kriterien für den nachhaltigen Wohnungsbau in Berlin. Ziel ist eine „Entscheidungshilfe, wie die Bauwende im kommunalen Wohnungsbau gelingt“. Am Beispiel des Typenhaus+ der Wohnungsbaugesellschaft STADT UND LAND, zeigte Pischetsrieder die hohen CO2-Einsparpotentiale auf. Der Vergleich eines ökologisch konstruierten Baus mit einer herkömmlichen Ausgangsvariante ergab: In den Außenwänden und Decken können rund 70 Prozent CO2 je Quadratmeter Bauteil reduziert werden, im Dach rund 60 und in den Innenwänden rund 45 Prozent. „Mit 1.902 versus 1.169 Tonnen CO2 geht es hier nicht um Nuancen, sondern um große Sprünge der notwendigen Klimagaseinsparungen“, bilanzierte die Architektin. Im Dialog mit den kommunalen Wohnungsbauunternehmen soll diese Entscheidungshilfe nun zur Anwendung kommen.