Raumklima deutscher Schulen erfordert Handlungsbedarf
Ein gesundes Innenraumklima ist grundlegende Voraussetzung für Leistungsfähigkeit und motiviertes Lernen. Daher ist es notwendig, die CO2-Konzentration durch Frischluftzufuhr kontinuierlich zu senken, Geruchsstoffe abzuführen und gleichzeitig Zugerscheinungen auszuschließen.
Doch viele deutsche Schulen können kein Innenraumklima vorweisen, das den Anforderungen an physiologischer Behaglichkeit und aktueller Energieeffizienz entspricht. Diese Tatsache birgt in Zeiten von COVID-19 besondere Brisanz und erfordert dringenden Handlungsbedarf.
Bereits 2015 zeigte eine Studie des Fraunhofer-Institut für Bauphysik IBP, dass sich in den vergangenen Jahrzehnten die Umgebungsbedingungen in Klassenzimmern zwar grundsätzlich kontinuierlich verbessert haben, in der Praxis jedoch nur selten optimal betriebene Räumlichkeiten in Schulbauten vorzufinden sind. Eine Tatsache, die bis heute in Deutschland und vielen Nachbarländern besteht, wie eine aktuelle Studie der Freien Universität Bozen bestätigt.
So ist in Deutschland momentan in lediglich 10 Prozent der annähernd 48.000 Schulen eine raumlufttechnische Anlage verbaut. Vielen kommunalen Schulträgern fehlen die finanziellen Mittel für eine energieeffiziente Lüftungsanlage und damit zur Sicherung einer ausreichenden Innenraumluftqualität. Der bundesweite Investitionsrückstand der Schulen ist immens. Laut dem KfW-Kommunalpanel des Deutschen Instituts für Urbanistik (DIfU) von September 2019 liegt er bei rund 42,8 Milliarden Euro.
Eine Anpassung der vorherrschenden Bedingungen ist jedoch gerade jetzt dringend erforderlich, um eine mögliche Ansteckungsgefahr mit dem Virus SARS-CoV-2 zu minimieren.
„Zur Vermeidung der Übertragung durch Aerosole sind in geschlossenen und dicht besetzten Räumen Abstandsregeln, Hygienemaßnahmen und Masken allein nicht ausreichend“, verweist Dr. Thomas Schräder, Geschäftsführer des Fachverbandes Allgemeine Lufttechnik, auf Untersuchungen des Hermann-Rietschel-Instituts. „Ohne effektiven Luftaustausch besteht grundsätzlich die Gefahr einer kritischen Ausbreitung von virenbehafteten Aerosolen im Raum. Die Empfehlung der mehrmaligen Stoß- beziehungsweise Querlüftung durch vollständig geöffnete Fenster, kann hierbei nur eine kurzfristige Maßnahme darstellen, zumal die Effektivität des Luftaustausches stark von äußeren Witterungsbedingungen abhängt.“ Eine dauerhafte Lösung sieht Schräder im Betrieb moderner Lüftungs- und Klimaanlagen, die das definierte Einbringen von frischer Außenluft und das Abführen belasteter Raumluft gewährleisten.
In diesem Zusammenhang bietet die Informationsschrift des Arbeitskreises Luftfilter im VDMA einen Überblick über die wichtigsten Aspekte zur Risiko-Minimierung der Ausbreitung von COVID-19 durch richtige Nutzung lüftungstechnischer Anlagen (siehe Link).
Welches Risikopotential Standard-Klassenzimmer in sich bergen und welchen Stellenwert eine mechanische Lüftung hat, haben Wissenschaftler der RWTH Aachen anhand einer vereinfachten Modellrechnung und dem Vergleich mit einer Wohnung aufgezeigt. Hierbei ergeben analoge Luftwechselraten in Klassenzimmer und Wohnung, für einen mit 35 Personen vollbesetzten Klassenraum – verglichen mit der Wohnung - ein zwölfmal höheres Infektionsrisiko. Bei Belegung mit nur 18 Personen und einem dreifachen Luftwechsel pro Stunde wäre das relative Infektionsrisiko in beiden Fällen – Klassenraum und Wohnung - gleich hoch. Die Analyse zeigt, dass in Klassenräumen, in Anbetracht der hohen Belegungsdichten und Aufenthaltsdauern, hohe Luftwechselraten erforderlich sind, um ein niedriges Infektionsrisiko zu gewährleisten. Kurzfristig sollte in der Praxis zumindest eine CO2-Ampel als Indikator für die personenbezogene Außenluftmenge verwendet werden. Bei allen neuen Schulen und bei Sanierungsmaßnahmen ist der Einbau einer ausreichend bemessenen Lüftungstechnik dringend anzuraten.
Bedarfsgerechte Anlagensysteme und Geräte
Raumlufttechnische Geräte und Anlagen gibt es in den Varianten zentral und dezentral. Während sich zentrale Anlagen insbesondere für Neubauten eignen, bieten dezentrale Anlagen eher die Möglichkeit der Nachrüstung bei Bestandsbauten, werden darüber hinaus aber gleichfalls in Neubauten eingesetzt.
Ein positiver Aspekt, den beide Anlagentypen gemeinsam haben, ist die Verwendung von Außenluft. Diese wird gefiltert und kontrolliert in die Räume eingebracht und gleichzeitig Abluft aus dem Gebäude geführt. Anders als bei der temporären Fensterlüftung wird somit ein permanenter Luftaustausch gewährleistet. Alle Komponenten und Systeme unterliegen technischen Anforderungen, die in Normen und Regelwerken wie beispielsweise VDMA 24390 „Dezentrale Lüftungsgeräte – Güte- und Prüfrichtlinie“, festgelegt sind.
Es herrscht Handlungsdruck
Der Sanierungsbedarf vieler deutscher Schulen ist seit langem bekannt. Die derzeitige Pandemie führt die bestehenden Missstände jedoch nochmals klar vor Augen und erfordert aktives Handeln. Eine große Herausforderung, denn die erforderlichen Maßnahmen sind umfangreich und werden Jahre in Anspruch nehmen.
Eine Option, kurzfristig und wirksam Aerosole aus der Luft herauszufiltern, stellen Umluftreinigungsgeräte mit HEPA-Schwebstofffilter oder basierend auf UV-Strahlung dar. Diese erzeugen eine eher lokal wirkende turbulente Mischlüftung, wobei Anforderungen an Schallschutz, Behaglichkeit und Lüftungseffektivität zu berücksichtigen sind. Allgemeingültige Definitionen und Hinweise zu geeigneter Positionierung oder Installation fehlen jedoch aktuell und sollten daher durch die kompetenten Unternehmen am Markt schnellstmöglich entwickelt werden.
„Ad-hoc Lösungsansätze dieser Art dürfen nicht über den tatsächlichen Sanierungsbedarf an Sanitär- und Lüftungstechnik in deutschen Schulen hinwegtäuschen“, gibt Prof. Dr. med. Dipl.-Ing. Hans-Martin Seipp, Technische Hochschule Mittelhessen, zu bedenken. „Denn langfristig gibt es zu raumlufttechnischen Anlagen keine Alternative, will man effektiv und kontrolliert die Be- und Entlüftung dicht besetzter Räume gewährleisten, um jahreszeiten- und witterungsunabhängig eine angemessene Innenraum-Luftqualität zu erhalten“.
„Es bedarf einer Kombination aus Akutmaßnahmen und ernsthafter Langzeitlösungen“, ergänzt Schräder. „Hierfür wird eine Kraftanstrengung des Bundes und der Länder erforderlich sein - um die finanzschwachen Kommunen massiv zu unterstützen und diese sehr aktuelle Fragestellung nicht auf Jahre in die Zukunft zu verschieben“. An einer zeitnah zu entwickelnden Sanierungsstrategie müssten Bund, Länder, kommunale Schulträger, Hygieneexperten und Industrie gemeinsam arbeiten.
Das eine solche Kommunikation miteinander gut gelingen kann und positive Ergebnisse bringt, zeigt das Beispiel aus Schweden. Bereits im Jahr 2014 wurden dort intensive Gespräche mit Politikvertretern geführt und ein umfassendes Förderprogramm ermöglicht, welches von 2015 bis 2018 abrufbar war. Mit gutem Ergebnis. Heute sind annähernd alle schwedischen Schulen mit moderner Lüftungstechnik ausgestattet.
Förderprogramme helfen
Auch in Deutschland baut das Bundesumweltministerium die Förderung des Klimaschutzes in Kommunen aktuell weiter aus. Hierzu ist am 1. August 2020 eine neue Fassung der Kommunalrichtlinie (KRL) in Kraft getreten, die auch die Nachrüstung von raumlufttechnischen Anlagen in Schulen und Kindertagesstätten im Rahmen einer Grundsanierung fördert. Klimaschutz betrifft immer auch den Menschen in seinem Lebensumfeld, wie die Förderung zeigt. Denn es bedarf, neben Energieeinsparung und Ressourcenschutz, auch eines hygienischen und der Gesundheit des Menschen zuträglichen Raumklimas. Ganzjährlich niedrige CO2-Level durch frische Luft bewerkstelligen nur lufttechnische Anlagen. In modernen und sanierten Wohngebäuden sind diese seit Jahren nicht nur eine Notwendigkeit, sondern auch aktueller Stand der Technik. Informationen zur Förderung und deren Rahmenbedingungen stellt der Projektträger Jülich (PtJ) zur Verfügung.
Ebenso, laut Protokoll einer Telefonschaltkonferenz der Bundeskanzlerin mit den Länderregierungen vom 27. August 2020, „müsse das 500 Mio.-Euro-Bundesprogramm zur Nachrüstung von umluftbetriebenen raumlufttechnischen Anlagen so schnell wie möglich umgesetzt werden, damit diese bereits in diesem Herbst mit entsprechenden Virusfiltern betrieben werden“. Auf diese Sofortmaßnahme in der akuten Pandemielage muss jedoch ein solides Sanierungsprogramm für deutsche Schulen folgen.