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07.10.2020 | Gebäudemanagement, Gebäudesanierung

IW-Berechnung: Klimaneutralität im Gebäudesektor mit rund 500 Mrd. Euro Investitionen erreichbar

Deutschlands Gebäudesektor bis zum Jahr 2050 nahezu klimaneutral zu machen, ist möglich – und es kann sozialverträglich gestaltet werden: Das geht aus Berechnungen des Instituts der deutschen Wirtschaft (IW) für die Deutsche Wohnen hervor. Um die Klimaziele zu erreichen, müssen 498 Milliarden Euro in die Modernisierung von Wohngebäuden investiert und jedes Jahr bis zu 1,04 Millionen Wohnungen energetisch ertüchtigt werden.

 

Von diesem Ziel ist Deutschland noch weit entfernt, was auch wesentlich auf den aktuellen Sanierungsstau im Gebäudesektor zurückzuführen ist. „Um den Klimaschutzplan 2050 zu verwirklichen, reichen die bisher vorgesehenen politischen Maßnahmen als Investitionsanreiz nicht aus“, sagt IW-Immobilienexperte Prof. Michael Voigtländer. „Es muss gelingen, die Interessen von Vermietern und Mietern zu vereinen – mit einem Instrument, das die Aspekte Klimaschutz, Wirtschaftlichkeit und Sozialverträglichkeit sinnvoll verknüpft.“

Neues Fördermodell zeigt: „Klimaschutz-Wohnkosten“-Dilemma ist lösbar

Die Deutsche Wohnen hatte jüngst ein Konzept unterbreitet, das das Dilemma „Klimaschutz versus Wohnkosten“ löst. Es sieht vor, dass die Modernisierungsumlage von bis zu acht Prozent, die ansonsten der Mieter tragen müsste, teilweise vom sogenannten Energie- und Klimafonds (EKF) übernommen wird. Der Fonds, der 2011 eingeführt wurde, um Maßnahmen für Energieeffizienz, Klima- und Umweltschutz zu finanzieren, speist sich bislang im Wesentlichen aus den Versteigerungen von Berechtigungen zum Ausstoß von Kohlenstoffdioxid. Ab 2021 erhält er zusätzliche Mittel aus der nationalen CO2-Bepreisung im Verkehrs- und Gebäudesektor.

Die Idee: Über den EKF fließt ein großer Teil der Mehreinnahmen aus der CO2-Bepreisung in den Gebäudesektor zurück. Der EKF-Anteil an der Modernisierungsumlage schmilzt dabei im Verlauf von bis zu 15 Jahren linear ab. Der Mieter profitiert bereits ab dem ersten Tag von niedrigeren Heizkosten sowie höherem Wohnkomfort und steigt erst langsam in die Klimakosten ein. In den ersten Jahren nach der energetischen Modernisierung sinkt infolgedessen die Miete – anstatt anzusteigen.

Rund 123 Mrd. Euro Ersparnis allein für Mieter

Im Rahmen einer aktuellen Studie hat das IW erste Modellrechnungen zur Finanzierbarkeit und den Auswirkungen des Konzeptes der Deutsche Wohnen angestellt.

Ein Beispiel: Bei einer Steigerung der Sanierungsquote von derzeit rund 1 Prozent auf 2,5 Prozent ergibt sich ein Investitionsvolumen von rund 498 Milliarden Euro bis zum Jahr 2050. Durch die EKF-Förderung über 15 Jahre sparen Mieter und Selbstnutzer dann insgesamt rund 254 Milliarden Euro an Modernisierungsumlagen – durchschnittlich 8,5 Milliarden Euro jährlich.

Die EKF-Förderung entlastet allein die Mieter bis 2050 um rund 123 Milliarden Euro, rund 4 Milliarden Euro jährlich. Die Ausgaben des EKF sind im Mietbestand in diesem Fall durch die zu erwartenden Einnahmen aus der CO2-Bepreisung vollständig gedeckt.

Im Einzelfall bedeutet das: Eine 90 Quadratmeter große Wohnung mit einer monatlichen Bruttowarmmiete von 811 Euro wird mit Investitionskosten von 30.000 Euro energetisch modernisiert, sodass die Heizkosten von heute 136 Euro auf 45 Euro monatlich sinken. Nach aktueller Rechtslage würde die Bruttowarmmiete auf 860 Euro steigen und der Mieter über Jahre hinweg eine Mehrbelastung erfahren. Nach dem EKF-Modell der Deutsche Wohnen liegt die Bruttowarmmiete hingegen bei 720 Euro, also fällt knapp 17 Prozent geringer aus. Mieter müssen nicht fürchten, dass ihre Gesamtmiete sprunghaft ansteigt. Im Gegenteil: Sie werden über 11 Jahre hinweg entlastet – bevor ein langsamer Einstieg in die Klimakosten erfolgt. Gleichzeitig sinkt der Energiebedarf der Wohnung, was dem Klima zugutekommt.

Klimaschutz ist eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe

Die Deutsche Wohnen verfügt mit ihrem Gebäudebestand über einen wichtigen Hebel für das Erreichen der Klimaziele. „Wir sehen uns in der Pflicht, dass unsere Wohnungen und Quartiere den Bedürfnissen künftiger Generationen entsprechen“, sagt Michael Zahn, Vorstandsvorsitzender der Deutsche Wohnen SE. Als einzelner Akteur habe das Unternehmen jedoch nur Einfluss auf einen Bruchteil der Wohnimmobilien. „Mit unserem Vorschlag wollen wir unsere Ideen sowie unser Knowhow einbringen und eine Diskussion anstoßen, wie der Klimaschutz im Gebäudesektor spürbar vorangebracht werden kann.“

Denn Klimaschutz ist eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe, bei der Staat, Unternehmen und Bürger gemeinsam gefragt sind, ihrer Verantwortung gerecht zu werden – schließlich profitiere die ganze Gesellschaft von den privaten Investitionen der Wirtschaft in mehr Klimaschutz. „Eine faire und sozialverträgliche Aufteilung der Kosten befähigt und motiviert die beteiligten Akteure, ihren Anteil zum Gelingen der Klimaschutzziele beizutragen.“

Positive Effekte für Klimaschutz und Wirtschaft

Die IW-Berechnungen machen deutlich, dass den erforderlichen Investitionen im EKF-Fördermodell zahlreiche positive Effekte gegenüberstehen – für den Klimaschutz und darüber hinaus. Die Forscher gehen davon aus, dass die CO2-Emissionen im Gebäudesektor in Folge der Modernisierungswelle, die die EKF-Förderung auslöst, von aktuell 121 Millionen Tonnen auf 74 Millionen Tonnen im Jahr 2030 und 33 Millionen Tonnen im Jahr 2050 sinken. Die dadurch eingesparten Umweltkosten – in Form von vermiedenen Klimafolgeschäden, die andernfalls durch die Energieerzeugung aus fossilen Brennstoffen entstehen würden –, belaufen sich auf 179 Milliarden Euro bzw. durchschnittlich 6 Milliarden Euro jährlich.

Nicht zuletzt würden durch den Vorschlag der Deutsche Wohnen „Investitionen in Klimaschutzmaßnahmen ausgelöst, welche die Nachfrage nach Dienstleistungen des Handwerks erhöhen und damit positive Effekte für die Gesamtwirtschaft erzeugen“, so das IW.