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10.08.2020 | Wasser und Abwasser

Zwei nordfriesische Wasserversorger ziehen an einem Strang

Was ist los im Untergrund? Dieser Frage gehen die Stadtwerke Husum Netz GmbH (Husum Netz) und der Wasserverband Treene aktuell mit Hilfe von Experten nach. Zusammen mit einem spezialisierten Team von Hydrogeologen erstellen sie ein fundiertes Modell des gemeinsam genutzten Grundwasserleiters, über den insgesamt 49 Gemeinden im ländlichen Raum zwischen Nordstrand und Schlei in Nordfriesland versorgt werden.

Visualisierung: "Blick in das Modell und den Grundwasserleiter": Im Hintergrund zeigt ein Original-Profilschnitt die Verteilung der geologischen Schichten des Untergrundes. Der im 3-D-Modell visualisierte Grundwasserleiter wird durch seine Ober- und Unterkante (gelb dargestellt) begrenzt. Senkrecht in Grau, Gelb und Grün sind die geologischen Bohrungen dargestellt. Die blauen Abschnitte zeigen die Filter von Brunnen und Grundwassermessstellen (Quelle: HGSim GmbH und AGUA GmbH).

„Das Grundwassermodell ist eine neue Dimension unserer langjährigen Partnerschaft. Damit führen wir die Messdaten aus den einzelnen Brunnenfeldern erstmals zusammen, um ein Gesamtbild zu erhalten“, sagt Norbert Jungjohann, Geschäftsführer der Husum Netz. „So gelingt es uns, eine integrierte Bewirtschaftungsstrategie zu entwickeln, die vorhandene Ressourcen schützt und Qualität langfristig sichert“, ergänzt Hauke Thiesen, Geschäftsführer des Wasserverbands Treene.

Der Hydrogeologe Dr. Martin Lilienfein von der beauftragten AGUA GmbH weiß: Dieses Vorgehen ist in Deutschland eher die Ausnahme. „Messdaten für die eigene Förderung erheben viele, die flächendeckende Verknüpfung dieser Daten untereinander und mit offiziellen Messstellen des Landes ist allerdings selten“, erläutert er. Jedoch kann nur durch diese Kombination eine fundierte Aussage über den Zustand, den Strömungsverlauf und mögliche Beeinflussungen getroffen werden. Das Grundwassermodell ist auch eine Investition in die Zukunft der Versorgung: „Wie ein lebender Organismus kann es weitergepflegt werden, mit zusätzlichen Daten gefüttert oder mit neuen wissenschaftlichen Erkenntnissen ergänzt werden“, erläutert er.

Von der heutigen Basisarbeit können die Wasserversorger deshalb auch noch in 30 Jahren profitieren. Denn mit den Aussagen über Strömungsverläufe und Grundwasserneubildung können gesicherte Prognosen für Szenarien wie erhöhte Entnahmen durch Brunnenneubauten, ein Öltanker-Unfall, Nitrateinträge durch Landwirtschaft oder eine mehrjährige Trockenheit simuliert werden. „Wir bereiten uns so darauf vor, dass der Klimawandel die Versorgungssituation beeinflussen wird“, erklärt Norbert Jungjohann. Bis heute hätten sich beispielsweise die Grundwasservorräte in Nordfriesland nicht vom Trockensommer 2018 erholt.  

Verantwortung für Generationen

Die Husum Netz erwartet durch das Modell mehr Klarheit für ihr Bewirtschaftungskonzept. Am westlichen Rand des einzigen Brunnenfelds des Versorgers befindet sich eine Linse mit salzhaltigem Wasser. Mit einem groß angelegten Sanierungskonzept soll verhindert werden, dass das Salzwasser weiter in Richtung Brunnenfeld vordringt. „Mit dem Modell können wir noch besser verstehen, wie sich die Linse verhält und wie wir das Husumer Wasser langfristig bewahren können“, betont Norbert Jungjohann in Hinblick auf das umfassende Konzept, das seit 2015 umgesetzt wird.

Es setzt an zwei Stellen an: Einerseits passt die Husum Netz das Bewirtschaftungskonzept im Wasserwerk an und baut neue Brunnen, um das Vortreiben der salzhaltigen Wasserschicht zu bremsen. Andererseits wird das bestehende Leitungsnetz umgebaut, um es sicher und sauber betreiben zu können. Mit dem Grundwassermodell kann die Wirksamkeit dieser Strategie geprüft werden. „Wir tragen eine hohe Verantwortung auch für kommende Generationen. Deswegen tun wir alles, um die Versorgung mit bestem Trinkwasser in Husum nachhaltig sicherzustellen“, betont er. Hauke Thiesen ergänzt: „Wir können zudem künftig vor Eingriffen wie etwa einem Brunnenbau genau berechnen, welche Auswirkungen es auf das wertvolle Trinkwasserreservoir hat.“ Die Husum Netz hat in den vergangenen Jahren bereits vier Brunnen neu gebaut, der Wasserverband Treene steht aktuell vor einer ähnlichen Aufgabe. „Die Vernetzung untereinander ist deshalb auch über das Grundwassermodell hinaus sehr nützlich, um gegenseitig profitieren zu können“, betont er.  

Auf 50 Zentimeter genau

Um das Grundwassermodell zu erstellen, greifen die Experten auf verschiedenste Messstellen zurück, zum Beispiel auf die der beiden Wasserversorger sowie des Lands Schleswig-Holstein. Die Basis bildet ein geologisches Modell mit den Gesteins- und Sedimentschichten. Es gibt Auskunft über die Beschaffenheit und Verteilung der einzelnen Schichten sowie deren Alter und nimmt eine Einteilung in „grundwasserführend“ und „grundwasserundurchlässig“ vor. Darin lassen sich außerdem Fehlstellen erkennen, etwa geologische Eingriffe. Anschließend werden für das Strömungsmodell „Wasserleiter“ und „Wasserstauer“ wie Flüsse oder Drainagebereiche integriert, die das Strömungsverhalten beeinflussen. In der folgenden Sensibilitätsanalyse wird das Modell so lange nachjustiert, bis Simulation und Realität möglichst passgenau sind. „Bis in eine Tiefe von 100 bis 200 Metern können wir das Verhalten des Grundwasserleiters bis auf 50 Zentimeter genau bestimmen“, erläutert Modelliererin Dr. Carla Wiegers von der HydroGeoSimulation GmbH (HGSim).

Im Sommer sind diese Arbeiten abgeschlossen. Nun folgt die eigentliche Variantenberechnung: „Wie in einer Art Stresstest können wir bestimmte Faktoren jetzt verändern und sehen, wie das Grundwasser darauf reagiert“. Erste Ergebnisse der Simulationsrechnungen für den geplanten Brunnenneubauten werden im September erwartet, zum Verhalten der Salzlinse Ende des Jahres. Für die beiden Wasserversorger gibt es neben dem Brunnenneubau und der Salzlinse weitere entscheidende Fragestellungen: Mit dem Grundwassermodell lässt sich auch berechnen, wie Verunreinigungen von der Oberfläche ins Grundwasser gelangen – und vor allem, wie lange es dauert, bis Stoffe dort angekommen sind. Damit werden Szenarien – ein Unfall mit einem Heizöllaster oder Einträge von Nitrat aus der Landwirtschaft – simuliert. Durchschnittlich dauert es etwa 120 Jahre, bis Stoffe von der Oberfläche ins Grundwasser gelangen. „Es kann aber auch mal nur fünf oder zehn Jahre dauern – je nach Bodenbeschaffenheit und Fließgeschwindigkeit“, weiß Experte Martin Lilienfein. Die beiden Wasserversorger haben eine gemeinsame Zielsetzung: Sie wollen vorbereitet sein für den Fall der Fälle; und dafür sorgen, dass es in den Wasserschutzgebieten gar nicht erst zu Grundwasserverunreinigungen kommt.