Nutzerfreundliche Webangebote im öffentlichen Sektor - Digitale Barrieren abbauen
Das Internet ist längst integraler Bestandteil des alltäglichen Lebens und auch im öffentlichen Sektor ist die Digitalisierung in vollem Gange. War es noch bis vor ein paar Jahren üblich, Unterlagen, wie beispielsweise behördliche Anträge oder Steuererklärungen, persönlich zu stellen oder postalisch einzureichen, geschieht dies immer häufiger auf digitalem Weg.
Der Kontakt mit Behörden und anderen öffentlichen Organisationen erfolgt zunehmend über Self-Service-Portale im Internet. Gesetzliche Bestimmungen forcieren diese Entwicklung zusätzlich: Neben dem Europäischen Rechtsakt zur Barrierefreiheit (European Accessibility Act, kurz EAA) verpflichtet auch das Onlinezugangsgesetz (OZG) den öffentlichen Sektor in Deutschland dazu, bis Ende 2022 Verwaltungsleistungen über entsprechende Online-Portale digital anzubieten. Damit eine möglichst breite Zielgruppe diese Webangebote uneingeschränkt nutzen kann, müssen sie in jedem Fall barrierefrei sein.
Barrierefreie Webangebote sind folglich stärker gefragt als je zuvor. Zugänglichkeit und Benutzerfreundlichkeit, sprich Accessibility und Usability, sind hierbei die Gebote der Stunde. Dass öffentliche Einrichtungen bei der Umsetzung eines barrierefreien Webangebots auf weitaus mehr Hürden stoßen, als sich zunächst vermuten lassen und der Teufel – wie so häufig – im Detail steckt, liegt fast schon in der Natur der Sache. Hilfreich ist es daher, wenn sich Organisationen zunächst damit auseinandersetzen, was digitale Barrierefreiheit meint, und sich anschließend sukzessive mit den Anforderungen an ihre Webangebote ganz konkret befassen.
Rechtlicher Hintergrund
Digitale Barrierefreiheit bedeutet, dass alle Menschen, unabhängig ihrer benutzten Hardware, Software, Sprache, Kultur, ihrem Ort sowie ihren physischen und kognitiven Fähigkeiten, Webangebote wahrnehmen, verstehen, über sie navigieren und mit ihnen interagieren können. In Deutschland ist sie durch das Behindertengleichstellungsgesetz sowie die Barrierefreie-Informationstechnik-Verordnung (aktuell: BITV 2.0) und ihre länderspezifischen Umsetzungen verpflichtend. Die BITV basiert auf den Web Content Accessibility Guidelines (aktuell: WCAG 2.1), den internationalen Standards des World Wide Web Consortiums (W3C). Das W3C formuliert in seinen Anlagen eine Vielzahl von Anforderungen, an denen Webentwickler sich orientieren können, um eine barrierefreie Nutzung zu ermöglichen. Im Zentrum stehen dabei die vier Grundsätze
Wahrnehmbarkeit,
Bedienbarkeit,
Verständlichkeit
und Robustheit.
Neben dem eingangs erwähnten Europäischen Rechtsakt zur Barrierefreiheit, der ein breites Anwendungsfeld abdeckt, darunter auch Selbstbedienungsterminals und E-Books, gibt es noch die EU-Richtlinie 2016/2102. Sie legt speziell für den öffentlichen Sektor fest, dass sowohl Websites als auch Apps barrierefrei gestaltet sein müssen. Ferner müssen Anbieter eine Barrierefreiheits-Erklärung publizieren und darüber hinaus eine Feedback-Funktion anbieten, über die Nutzer auf Mängel hinweisen können. Somit ist in Deutschland Barrierefreiheit spätestens seit September 2018 auch auf kommunaler Ebene rechtlich verpflichtend und soll schrittweise realisiert werden.
Barrierefreiheit ganzheitlich denken
Damit die Umsetzung eines barrierefreien Webangebots von Erfolg gekrönt ist, empfiehlt es sich, Barrierefreiheit als fortlaufenden Prozess, im Sinne eines kontinuierlichen „Web Accessibility Thinkings“, zu betrachten. Was bedeutet das? Es gilt, Barrierefreiheit nicht nur möglichst frühzeitig in den Planungsprozess zu integrieren, sondern das Webangebot auch nach der Produktivschaltung entsprechend weiterzuentwickeln und zu pflegen, sodass es dauerhaft barrierefrei bleibt. Möchte eine Organisation ein Webangebot komplett neu einführen oder plant sie einen Relaunch ihrer bestehenden Website, sollte sie bereits während der Konzeptions- und Designphase eine Web-Accessibility-Perspektive einnehmen. Eine geräte- und plattformunabhängige Programmierung im Responsive Design und ein Fluid Layout sind hierbei essenziell. Darüber hinaus ist es wichtig, die eigene Produkt- beziehungsweise Leistungswelt sowie den damit verbundenen Webauftritt auf eine universelle Gestaltung hin zu überprüfen:
Wie stellen sich die Farb- und Kontrastverhältnisse dar?
Ist die Schrift gut lesbar?
Sind die Produkt- und Leistungsbeschreibungen verständlich?
Je weiter die Planung bereits vorangeschritten ist, ohne derartige Anforderungen berücksichtigt zu haben, umso schwieriger ist es, diese im Nachgang zu realisieren. Generell gilt, dass nachträgliche Anpassungen zwar möglich, jedoch in der Regel mit einem hohen Aufwand verbunden sind. Egal, ob das Webangebot schon besteht, die Umsetzung vorangeschritten ist oder die Planung noch in den Kinderschuhen steckt: Ein „zu spät“ hinsichtlich einer barrierefreien Gestaltung gibt es allerdings nicht. Es ist schlichtweg eine Frage des Wollens.
Das BITV-Prüfverfahren
Der BITV-Test ist ein Verfahren, mit dem Behörden umfassend und zuverlässig prüfen können, wie barrierefrei ihre Webangebote sind. Maximal lassen sich 100 Punkte erreichen. Erzielt ein Webangebot über 90 Punkte, ist eine sehr gute Barrierefreiheit gewährleistet. Gleichzeitig gibt der Test interessante Einblicke darüber, an welchen Stellen das Webangebot noch Verbesserungspotenzial aufweist. Darauf aufbauend ist es sinnvoll, zunächst die Aspekte umzusetzen, die für die eigene Zielgruppe den größten Nutzen stiften und von dort sukzessive an einer möglichst umfassenden Barrierefreiheit zu arbeiten. Für eine technisch versierte Person ist es zwar möglich, den BITV-Selbsttest auf eigene Faust durchzuführen. Grundsätzlich empfiehlt es sich jedoch, einen erfahrenen Dienstleister ins Boot zu holen, der bei der Prüfung fachkundig unterstützt. Der Test selbst umfasst insgesamt 60 Prüfschritte und ist in drei verschiedenen Varianten verfügbar, die unterschiedliche Zwecke erfüllen:
Der BITV-Selbstbewertung stellt eine erste Möglichkeit dar, um den Status-quo zu bewerten.
Der entwicklungsbegleitende BITV-Test dient als Werkzeug, um während der Entwicklung die Qualität zu sichern.
Und der abschließende BITV-Test fungiert als finales Testinstrument für externe Prüfer, die nicht am Projekt beteiligt sind.
Aus der Erfahrung entsprechender Projekte haben sich neben dem BITV-Test die folgenden Ansatzmöglichkeiten bewährt, damit öffentliche Einrichtungen ihre Webangebote von etwaigen Barrieren befreien können:
1. Auf eine klare Struktur achten
Damit Nutzer ein Webangebot uneingeschränkt bedienen können, ist eine klare Struktur unverzichtbar. Nicht nur Menschen mit Sehschwäche, die einen Screenreader oder eine Braillezeile, ein Computer-Ausgabegerät für Blindenschrift, verwenden, sondern auch Menschen mit motorischen Einschränkungen, die anstatt der Computermaus ausschließlich die Tastatur nutzen, haben so die Möglichkeit, leichter zu den gewünschten Inhalten zu gelangen und sie richtig zu erfassen. Eine sauber gepflegte Dokumentenstruktur ist hierbei unverzichtbar. Typische Gliederungselemente für Dokumente sind etwa Überschriften, Fließtexte, geordnete und ungeordnete Listen sowie Fußnoten. Durch passende HTML-Markups als solche gekennzeichnet, geben diese den Inhalten einer Website ihre Struktur. Alternative Ausgabegeräte haben erst so die Möglichkeit, die Bedeutung einzelner Textelemente genau zu erkennen und darzustellen. Zudem ermöglichen beispielsweise ergänzende Sprungmarken, direkt zu den markierten Inhalten innerhalb der Seite zu gelangen. Auf diesem Weg machen sie etwa die Hauptnavigation, Kontaktdaten oder den Seiteninhalt leichter erreichbar und verbessern wesentlich die Tastatursteuerung.
2. Farben und Kontraste im Blick haben
Barrierefreie Webangebote zu schaffen, bedeutet auch, bestimmte Gestaltungsrichtlinien einzuhalten. Gemäß der BITV müssen Nutzer so leicht wie möglich zwischen Vordergrund und Hintergrund unterscheiden können. So sind extrem bunte, unruhige Hintergründe ebenso zu vermeiden wie schwarze Textelemente auf grauem Hintergrund. Gleiches gilt für Hinweise, Buttons und Navigationsfelder in Rot und Grün. Ein Webangebot mit guten Kontrasten hilft nicht nur seheingeschränkten Menschen, sondern ist für alle Anwender nutzerfreundlicher. Wichtig ist zudem, Informationen nicht nur über Farben zu vermitteln. Ein gutes Beispiel hierfür ist die Darstellung des aktiven Navigationspunktes auf der Website. Anstatt das ausgewählte Menüelement lediglich über die Farbe von den anderen Menüpunkten zu unterscheiden, ist es sinnvoll, durch weitere generische HTML-Markups, wie Fettschrift oder Unterstreichungen, eine Kennzeichnung zu erreichen. Mithilfe von kostenfreien Tools lässt sich die Qualität von Kontrasten zudem ganz einfach überprüfen. Liegt das Kontrastverhältnis über 4,5 zu 1, ist ein wichtiger Schritt in Richtung Barrierefreiheit getan.
3. Inhalte in „Leichter Sprache“ anbieten
Menschen, die aufgrund kognitiver Einschränkungen, Lernbehinderungen oder geringer Sprachkenntnisse nicht gut lesen können, sind darauf angewiesen, dass Webangebote auch in „Leichter Sprache“ verfügbar sind. Leichte Sprache bezeichnet eine besondere textliche Fassung, die bestimmte Regeln hinsichtlich Sprache und Präsentation einhält. Hier gilt es, kurze Hauptsätze und gebräuchliche Formulierungen zu verwenden und auf eine einheitliche Schreibweise zu achten. Wortwahl, Satzbau und -länge dienen ebenso der besseren Verständlichkeit wie die inhaltliche Ordnung, das Layout und die Typografie. Texte in „Leichter Sprache“ sind sehr übersichtlich. Idealerweise steht in einer Zeile nur ein Satz und die Schrift sowie der Zeilenabstand sind größer als gewöhnlich. Zudem empfiehlt es sich, das Beschriebene bildlich – durch Fotos, Grafiken und Diagramme – zu unterstützen.
4. PDF-Dokumente richtig aufbereiten
Webangebote bestehen normalerweise nicht nur aus reinen HTML-Seiten, sondern verlinken in der Regel auf weitere Multimediainhalte, wie etwa Dateien im Portable Document Format (kurz: PDF). Das PDF spielt gerade im öffentlichen Sektor eine zentrale Rolle für die Kommunikation zwischen Behörde und Bürger. Auch PDF-Dokumente sind barrierefrei zu gestalten – ein Umstand, den viele übersehen. Da das PDF eine geräte- und plattformunabhängige Druckdatei ist, lässt es sich für ein barrierefreies Webangebot sehr gut aufbereiten. Für diesen Zweck ist es essentiell, Meta-Informationen, wie etwa Sprache, Thema und Verfasser, einzupflegen. Genauso wie ein Webangebot braucht auch ein barrierefreies PDF-Dokument zudem eine klare Struktur inklusive der Markierung von speziellen inhaltlichen Elementen, wie etwa Tabellen, Grafiken oder Listen. Neben Lesezeichen, die als Navigationshilfe dienen, muss der Text eines barrierefreien PDFs durchsuchbar sein sowie Alternativtexte für Bilder aufweisen.
5. Mitarbeiter sensibilisieren
Ein Webprojekt endet nicht mit seinem Launch. Mitarbeiter im Bereich Redaktion und Web Content Management müssen die Inhalte kontinuierlich pflegen und aktualisieren. Barrierefreiheit ist als ein fortlaufender Prozess zu betrachten, der verschiedene Kompetenzen innerhalb der eigenen Institution erfordert. Darum sind die Verantwortlichen für das Thema Barrierefreiheit zu sensibilisieren. Hierfür stellen beispielsweise entsprechende redaktionelle Schulungen, die einen Überblick über die geltenden Richtlinien geben und insbesondere praktische Anwendungsbeispiele für die tägliche Arbeit der redaktionell verantwortlichen Personen vermitteln, ein probates Mittel dar. Nur so lässt sich die Barrierefreiheit eines Webangebotes dauerhaft sicherstellen.
Fazit: Barrieren noch heute abbauen
Im Zuge der zahlreichen neuen Richtlinien – EAA, EU 2016/2102 und OZG – sind barrierefreie Webangebote nicht nur ein Wettbewerbsvorteil, sondern an vielen Stellen eine verpflichtende Notwendigkeit. Dazu gehört neben einer barrierefreien Gestaltung auch eine Sensibilisierung hinsichtlich der Zielgruppenansprache. Barrierefreie Webangeboten sind von einigen Vorreitern in der Verwaltung, der Politik und in großen Städten schon gut umgesetzt – nicht zuletzt aufgrund der gesetzlichen Erfordernisse. Allerdings gibt es an vielen Stellen besonders in kleinen als auch mittleren Städten und Gemeinden sowie im breiten Feld der durch die öffentliche Hand betriebenen Einrichtungen häufig noch erheblichen Handlungsbedarf. Sie sollten sich das Thema Barrierefreiheit jetzt zur Aufgabe machen, um in einer zunehmend digitalen Welt wirklich rechtssicher und bürgerfreundlich zu sein.