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30.01.2019 | Digitalisierung, Gesundheitswesen und Hygiene

Digitalisierung im Gesundheitswesen: Die Zukunft ist schon da und fordert rechtliche Regelungen

Zum mittlerweile 14. Mal hat die Kanzlei Hartmann Rechtsanwälte am 23. Januar 2019 zur traditionellen Jahresauftaktveranstaltung eingeladen, die aufgrund der hohen Teilnehmerzahlen der letzten Jahre erstmalig in der „Rohrmeisterei Schwerte" stattfand. Im historischen Industrie-Ambiente der alten Ruhr-Pumpstation informierten sich rund 150 Gäste über aktuelle Entwicklungen im Gesundheitswesen.

Der Einstieg von Gastgeber Peter Hartmann mit einem Zitat von Einstein „Die reinste Form des Wahnsinns ist es, alles beim Alten zu belassen und gleichzeitig zu hoffen, dass sich etwas ändert." zeigte bereits die Richtung der diesjährigen Jahresauftaktveranstaltung der Kanzlei Hartmann Rechtsanwälte an: es stehen nach langem Stillstand eine Vielzahl von Veränderungen an, die für alle Marktteilnehmer tatsächlich zu Änderungen führen könnten.

Als erster Gast war per Skype Dr. Roy Kühne, MdB und Mitglied im Gesundheitsausschuss mit dem „Bericht aus Berlin" live zugeschaltet. Dieser wies in aller Deutlichkeit darauf hin, dass mit dem TSVG (Terminservice- und Versorgungsgesetz) Ausschreibungen zur Versorgung mit Hilfsmitteln zukünftig entfallen sollen. Bis zur endgültigen Formulierung sind noch einige rechtliche Fragen zu klären. Gleichzeitig soll dafür Sorge getragen werden, dass damit nicht die Tür für Open-House-Verträge geöffnet wird. Wahrscheinlich wird das TSVG zum 1. Mai 2019 in Kraft treten.

Mit dem Entwurf des Gesetzes für mehr Sicherheit in der Arzneimittelversorgung (GSAV) soll für Arzneimittel das eRezept eingeführt werden; Dr. Kühne wies darauf hin, dass dieses für alle Bereiche und nicht nur für den Arzneimittelbereich benötigt werde und dass an entsprechenden Änderungen bereits gearbeitet werde.

Für die Zukunft sieht Dr. Kühne eine Vielzahl weiterer Aufgaben, die zeitnah angegangen werden müssen. Hierzu gehört z.B. ein „Entbürokratisierungspaket", Regelungen zum Entlassmanagement, die das Problem der Genehmigungspflicht bei Hilfsmitteln lösen oder Klarstellungen, dass die Genehmigungsfiktion nach § 13 Abs.3a SGB V für alle Hilfsmittel gilt.

Bevor es weiterging, stellt Jörg Hackstein noch kurz die Neuauflage des bekannten Leitfadens „Zu Hause gut versorgt" vor, der gleich zwei Neuerungen aufweist: Der Leitfaden wird ab sofort gemeinsam mit dem Bundesinnungsverband für Orthopädietechnik herausgegeben und erscheint in zwei getrennten Ausgaben: eine Ausgabe für Leistungserbringer und eine für Versicherte.

Prof. David Matusiewicz, als Zukunftsforscher und Leiter des Bereiches Gesundheit und Soziales an der FOM Hochschule, präsentierte anschließend seine Sicht auf das spannende Thema „Digitalisierung im Gesundheitswesen – auf dem Weg zum 3. Gesundheitsmarkt". ViSdP: 29.01.2019 Christiana Hennemann, Telefon: 0231 – 610 2376

Er wies darauf hin, dass aktuelle Studien bereits heute die überlegene „Diagnosesicherheit" von telemedizinischen Diagnosesystemen, basierend auf lernenden Computeralgorithmen, gegenüber der klassischen Diagnostik von Medizinern/Innen belegen. Trotzdem werde es noch geraume Zeit dauern, bis sich solche in der Praxis durchgesetzt haben. Dabei sieht Prof. Matuseiwicz diese Systeme auch nicht als Ersatz für die ärztliche Leistung, sondern verglich sie mit den Centaurus der griechischen Mythologie, der ein Mischwesen aus Pferd und Mensch war. So würden auch telemedizinische Diagnosesysteme zukünftig bestimmte Auswertungen schneller und besser machen als der Arzt, was aber immer nur eine Unterstützung der ärztlichen Diagnostik darstelle, die sich eben nicht in der Auswertung von Daten erschöpfe. Von daher würden Mensch und Maschine noch enger zusammenarbeiten und insoweit zukünftig dem Centaurus ähneln.

Wie weit die Digitalisierung in anderen Ländern (Skandinavien, Niederlande, USA, Kanada) bereits fortgeschritten ist belegte Prof. Matusiewicz anhand spezialisierter APPs, die dort schon weit verbreitet sind. Diese erheben individuellen Gesundheitsparameter bzw. diese werden dort eingegeben und anschließend zur Nutzung durch Dritte freigegeben. Dies geschieht aber nicht kostenlos, vielmehr sammelt jeder Teilnehmer bei der Zurverfügungstellung seiner Gesundheits-daten „Coins", die er dann z.B. für Sporttherapien oder Wellnessanwendungen ausgeben kann, um die persönliche Gesundheit zu stärken und erhalten. Die Gesundheitsdaten jedes Einzelnen werden damit faktisch zur „Währung"; eine Entwicklung die Prof. Matusiewicz als „Weg zum 3. Gesundheitsmarkt" bezeichnete.

In Deutschland bremse jedoch die Angst vor dem Wandel in medizinischen Berufsbildern, die mangelnde inter- und transdisziplinäre Kooperation und die strikte sektorale Trennung in allen Bereichen des Gesundheitswesens zur Zeit noch massiv die Digitalisierung.

Ein Expertenkonsensus zur digitalen Transformation beschreibt die neuen Rollen der Marktteilnehmer und die Rechte und Pflichten aller Mitwirkenden. Die Datenhoheit soll selbstverständlich bei den Patienten liegen, diese sind aber zum Teil noch gar nicht entsprechend ausgebildet, um für einen „bewussten" Umgang mit ihren wertvollen Gesundheitsdaten zu sorgen. Der Zukunftsforscher empfindet die behördlichen Regelungen, wie z.B. die Löschfristen bei Krankenkassenakten als kontraproduktiv für eine digitale Weiterentwicklung im Gesundheitswesen. So würden „Schwarmintelligenz" und systemisches Lernen durch Sammlung und Abgleich von Krankheitsmustern ausgebremst.

Diesem Argument widersprach Dr. Stefan Brink, baden-württembergischer Landesbeauftragter für den Datenschutz: Der Schutz der persönlichen Daten und der sorgsame Umgang damit hat für ihn Priorität. Und dies gilt mit Einführung der DSGVO (Datenschutzgrundverordnung) EU-weit einheitlich. „Datenschutz ist ein Freiheitsthema, es berührt Bürgerrechte und garantiert individuelle Souveränität." Deshalb müssten, so Stephan Brink, die Behörden streng auf Einhaltung dieser Schutzrechte achten und große „Datensammelkonzerne" ggf. auch mit hohen Strafen belegen. ViSdP: 29.01.2019 Christiana Hennemann, Telefon: 0231 – 610 2376

„Datenschutz und Digitalisierung gehören zusammen und müssen verantwortlich praktiziert werden, um zu einem Erfolgsmodell für den Patienten und das Gesundheitssystem zu werden..."

Auf hohem juristischem Niveau ging es nach der Mittagspause mit dem Vorsitzenden Richter des 1. Senats am BSG, Prof. Ernst Hauck, weiter. Er fasste die Voraussetzungen des § 13 Abs.3a SGB V zur Genehmigungsfiktion zusammen, nannte die Auslegung des für Hilfsmittel zuständigen 3. Senates dazu gerade eine „lyrische Interpretation" und bemängelte „fehlende juristische Präzision bei Auslegung der Gesetzestexte". Weiter gab er einen kurzen Überblick über das Entlassmanagement, die Probleme bei neuen Untersuchungs- und Behandlungsmethoden und zu guter Letzt noch, ob es Möglichkeiten der Verfahrensbeschleunigung bei sozialgerichtlichen Verfahren gibt (praktisch eher nicht).

Jörg Hackstein, Partner der Kanzlei Hartmann Rechtsanwälte, resümierte die spannende Veranstaltung und brachte die „hohe Theorie" auf den Boden der täglichen Arbeit der Marktteilnehmer zurück: Die Umsetzung des Verzichts auf Ausschreibungen und Open-House- Verträge in den Entwürfen zum TSVG ist zu begrüßen. Die Möglichkeit der elektronischen Unterschrift bei der Beratungsdokumentation ist zwar nur ein kleiner Schritt in Richtung weiterer Digitalisierung, aber erleichtere das tägliche Leben.

Im Hinblick auf die Eintragung von Hilfsmitteln im GKV Hilfsmittelverzeichnis wies Jörg Hackstein darauf hin, dass auch nach dem Abschluss der Fortschreibung des Hilfsmittelverzeichnisses einige Punkte zu kritisieren seien. So sei u.a. an verschiedenen Stellen eine Kompetenzüberschreitung des GKV-Spitzenverbandes festzustellen: Es werden Dinge im Hilfsmittelverzeichnis geregelt, die den Vertragspartner obliegen oder schlichtweg dort nicht hineingehören, wie leistungsrechtliche Auslegungen.

Bei der Präqualifizierung werden sich die Leistungserbringer zukünftig nicht nur auf höhere Kosten, sondern auch erhöhten Aufwand einrichten müssen, z.B. durch die stärkere Überwachungspflichten der PQ-Stellen nach den Vorgaben der Deutschen Akkreditierungsstelle (DAkks). Einige PQ-Stellen haben aufgrund der auch für sie erhöhten Anforderungen schon signalisiert, dass sie ihre Tätigkeit einstellen werden.

Nach einem spannenden Tag lobten die Teilnehmer der Veranstaltung den Bogen zwischen digitaler Zukunft und aktuellen Praxisproblemen – und der Termin für die nächste Jahresauftaktveranstaltung steht auch schon fest: 23. Januar 2020 wieder in der Rohrmeisterei in Schwerte.