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08.02.2018 | Beschaffungspraxis, Nachhaltigkeit

Nachhaltiger Einkauf in Mainz: Landeshauptstadt setzt auf Umweltschutz und soziale Gerechtigkeit

Was Anfang der 2000er Jahre durch Strategen des Rathauses mit dem Bestreben nach mehr Wirtschaftlichkeit und Vergabekonformität auf den Weg gebracht wurde, ist heute für Mainz der Schlüssel für Nachhaltigkeit im Einkauf: Die Digitalisierung von Prozessen schaffte seitdem mehr Transparenz und eröffnete weitreichende Steuerungsmöglichkeiten.

Durch artikelgenaue Kennzeichnungen im E-Katalog war es nun möglich, umweltfreundliche und soziale Standards in den Einkauf mit einzubeziehen. Damit können Einkäufer aller zur Stadt Mainz zugehörigen Stellen wie Ämter und Schulen ökologische und soziale Kriterien bei der Produktauswahl berücksichtigen. Inzwischen gehört Mainz zu den Vorreitern im nachhaltigen Einkauf: Ein Praxisleitfaden von Engagement Global gibt einen umfassenden Überblick über das Projekt und liefert wichtige Hinweise für Interessierte

Schon 2003 entschloss sich die Landeshauptstadt Mainz dazu, den Einkauf und die Beschaffung zu digitalisieren: Zunächst hatte man sich von der Einführung des elektronischen Einkaufes die Kostensenkung von Beschaffungsprozessen versprochen. Darüber hinaus sollten durch die verwaltungsweite Bündelung der Gesamtnachfrage in den einzelnen Produktgruppen wirtschaftlichere Preise erzielt werden. Und nicht zuletzt sollten mit der elektronischen Bestellung automatisch erzeugte Daten für das Controlling und die elektronische Ausschreibung und Vergabe zur Verfügung stehen. „Bis dahin hatten wir keinen verlässlichen Überblick über Mengen oder Bedarfe“, fasst Dr. Sabine Gresch, Koordinatorin Lokale AGENDA 21 bei der Stadt Mainz, zusammen.

Hierzu hatte man sich für die webbasierte Dienstleistung der TEK-Service AG aus Lörrach entschieden. Innerhalb weniger Wochen wurde im Rathaus der Landeshauptstadt Mainz damit die papiergestützte Beschaffung durch den elektronischen Einkauf in großen Teilen abgelöst. Der externe Dienstleister zeichnete für Technologie, Service und Know-how verantwortlich. An den elektronischen Einkauf wurden die gesamte Verwaltung und auch einige Beteiligungsgesellschaften angeschlossen. Damit standen nun erstmals belastbare Daten zur Verfügung. Die Stadt weist seither einen großen Zuwachs an Produktgruppen auf; vom Kopierpapier über Kaffee bis hin zur Kinderwindel. Heute werden über 800 Kostenstellen über den e-Einkauf gesteuert. Autorisierte Besteller wählen mittels Passwort aus den Sortimenten von 40 Lieferanten mit etwa 1,5 Millionen Artikeln. Der Jahresumsatz liegt derzeit bei 1,13 Millionen Euro; Tendenz steigend.

Mehr Nachhaltigkeit im Einkauf durch Digitalisierung

Sehr früh wurde das Potential der neu errungenen, umfassenden Transparenz deutlich. Kennzahlen und Berichte halfen, die positive Entwicklung zu bewerten und weiterzuentwickeln. Durch flexiblen Zugriff auf das Katalogmanagement und die ständige Datenpflege durch TEK-Service konnte schnell auf neue Anforderungen reagiert werden. Dies waren zunächst nur Nebeneffekte, die sich jedoch sehr bald zum entscheidenden Schlüssel für einen nachhaltigen Einkauf in Mainz entwickeln sollten.

„Nachhaltige Beschaffung ist eine ganzheitliche Sicht auf den Einkauf einer Verwaltung oder Organisation. Sie umfasst Qualifizierungsmöglichkeiten von Artikeln unter Aspekten der Umweltfreundlichkeit und/oder Sozialverträglichkeit. Auch Regionalaspekte, beispielsweise im Hinblick auf die Logistik, können berücksichtigt werden“, führt Monika Schmidt, Vorsitzende des Aufsichtsrates der TEK-SERVICE AG, aus. Doch erst mit einer transparenten und gut organisierten Beschaffung können diese Faktoren ausreichend berücksichtigt werden. Im Rahmen des Besuches einer Schulklasse brachte die Frage eines Schülers an den damaligen Oberbürgermeister, wie es denn das Rathaus mit dem Thema Umweltschutz und Sozialverträglichkeit halte, den Stein ins Rollen. Ein Arbeitskreis „Nachhaltige Beschaffung“ befasste sich mit dem Thema und bezog den Dienstleister TEK-SERVICE AG früh in die Überlegungen mit ein. Es galt, für den Besteller am Arbeitsplatz eine einfache Entscheidungshilfe bereitzustellen, die umweltfreundlich und sozialverträglich hergestellte Produkte ersichtlich machte.

Kennzeichnung und Information direkt im Einkaufskatalog

Im Rahmen ihrer Services hat TEK-Service in der Folge die Shopansicht um entsprechende Angaben erweitert. Durch den Einkauf qualifizierte Artikel sollen zukünftig mithilfe des Vermerks „umweltfreundlich“ beziehungsweise „sozialverträglich“ kenntlich gemacht werden. Eventuell kommt auch eine spezielle Symbolik oder Farbgebung in Frage. Diese Einschätzungen richten sich nach anerkannten Labels wie dem „Blauen Engel“ oder nationalen beziehungsweise internationalen Normen, zum Beispiel den „ILO Kernarbeitsnormen“. „Bei Tausenden von Artikeln ein hohes Ziel“, so Schmidt weiter.

Für den Besteller am Arbeitsplatz wird es damit möglich sein, derart qualifizierten Artikeln bewusst den Vorrang vor anderen zu geben. „Um das zu erreichen, müssen die Einkäufer umfassend über das Projekt informiert sein: Wir haben vor, hierfür unsere Informationskanäle wie das Intranet und unsere interne Zeitung ,innenStadt“ zu nutzen. Auch eine Schulung haben wir bereits durchgeführt; weitere sind geplant“, erklärt Gresch. Wichtig ist es ebenfalls, die Kennzeichnung im Einkaufskatalog mit entsprechenden Informationen zu hinterlegen. Diese müssen vor allem kurz und schnell verständlich sein. „Bei der Schulung haben wir erfahren, dass eine nachhaltige Beschaffung in jedem Fall begrüßt wird, für die Einkäuferinnen und Einkäufer aber nicht mit unverhältnismäßigem Mehraufwand verbunden sein darf“, fährt Dr. Gresch fort. So sollte sich ein Einkäufer nicht erst zeitintensiv darüber informieren müssen, was der Unterschied zwischen FSC-zertifiziertem Papier und „100 Prozent Recyclingpapier“ ist, sondern allein aufgrund von wenigen hinterlegten Daten qualifizierte Entscheidungen treffen können. Hierbei spielt auch die Transparenz der Bewertungen eine große Rolle: „Die Einkäuferinnen und Einkäufer müssen nachvollziehen können, warum die Bewertung so vorgenommen wurde“, bemerkt Dr. Gresch.

Große Herausforderungen für Kommunen

„Jeder Weg beginnt mit dem ersten Schritt. Das Wichtigste jedoch: Mit dem elektronischen Einkauf wurde dieser Schritt möglich“, erläutert Schmidt. Gerade in den vergangenen 24 Monaten wurde an dieser Stelle die Entwicklung massiv vorangetrieben. Die Weiterentwicklungen, das Know-how über Herangehensweisen und Möglichkeiten nutzen damit gleichzeitig auch allen anderen TEK-Kunden, die am Aspekt Nachhaltigkeit im Einkauf interessiert sind.

Frau Dr. Gresch empfiehlt Kommunen darüber hinaus: „Erstmal ist es wichtig, die Politik einzubinden und die richtigen Partner mit ins Boot zu holen – man kann nicht gegen Widerstände kämpfen. Kommunikation und Transparenz sind die zentralen Schlagworte hierbei. Hilfreich ist es zudem, sich bundesweit zu vernetzen, um von den Erfahrungen der anderen zu lernen und zu profitieren. Man muss das Rad nicht immer neu erfinden.“ Seit März 2017 kann außerdem die gesamte Entwicklung von Mainz hin zur nachhaltigen Beschaffung nachverfolgt und nachgelesen werden: Engagement Global veröffentlichte in Zusammenarbeit mit der Stadt Mainz einen Praxisleitfaden, der einen detaillierten Überblick über die gesamte Strategie und die einzelnen Arbeitsschritte der Stadtverwaltung gibt – eine Entscheidungsgrundlage für interessierte Gemeinden.

Mehr Informationen: siehe Links

Die Stadtverwaltung Mainz beschäftigt derzeit etwa 4.000 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter und ist damit eine der größten Arbeitgeberinnen der Region. Insgesamt betreibt sie 25 Ämter und Eigenbetriebe sowie 52 Kindertagesstätten, 42 Schulen und zehn Kinder- und Jugendzentren. Seit 2013 ist Mainz „Fairtrade-Stadt“, womit sie eine Vorreiterrolle in Bezug auf ihr Engagement für den Fairen Handel einnimmt.

Die TEK-Service AG mit Sitz in Lörrach wurde 2000 von Frank Schmierer sowie Monika Schmidt gegründet und bietet eine webbasierende Lösung, über die der Einkauf öffentlicher Verwaltungseinrichtungen bundesweit abgewickelt werden kann. Die Kommune definiert dabei die Zugriffsberechtigungen und Hierarchien, während TEK diese abbildet und das Katalog- und Lieferantenmanagement des Kunden übernimmt. Die Produktpalette reicht dabei von Pflege-, Nahrungs- und Bastelprodukten für Kitas und Kindergärten sowie Schulbedarf, über Bedarfe für Arbeitssicherheit, Dienstleistungen, Mobiliar, Chemikalien oder Reinigungsmittel bis hin zum Bedarf für Flüchtlingsunterkünfte oder Elektroartikeln. Die Entwicklung der Technologie, der Verfahrensabläufe und Services, die Datenhaltung sowie deren Verarbeitung werden seit der Gründung am Standort Lörrach erbracht.