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30.06.2017 | Stadtplanung

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Politik und Stadtentwicklung: Von der Leipzig Charta zum Weißbuch Stadtgrün

2017 jährt sich die „Leipzig Charta zur nachhaltigen europäischen Stadt“ zum zehnten Mal. Sie gilt als das zentrale Dokument zur integrierten Stadtentwicklung in Europa. Gleichzeitig war die Verabschiedung der Charta im Mai 2007 in Deutschland der Start der Initiative für eine Nationale Stadtentwicklungspolitik.

Helmut Selders, Präsident des Bundes deutscher Baumschulen (BdB) e.V.

Das Bedürfnis von immer mehr Menschen, in Städten fußläufig Grünflächen erreichen zu können, führt dazu, dass das Thema Stadtgrün seit einigen Jahren verstärkt auf der politischen Agenda steht. (Fotos: BdB)

Als Anforderung an eine integrierte Stadtentwicklung heißt es darin: „Wir brauchen mehr ganzheitliche Strategien und abgestimmtes Handeln aller am Prozess der Stadtentwicklung beteiligten Personen und Institutionen - auch über die Grenzen der einzelnen Städte und Gemeinden hinaus. (...) Um diese Verantwortung auf den verschiedenen Regierungsebenen effektiv zu gestalten, müssen wir die sektoralen Politikfelder besser koordinieren und ein neues Verantwortungsbewusstsein für eine integrierte Stadtentwicklungspolitik schaffen. Wir müssen gewährleisten, dass alle, die an der Umsetzung der Ziele für eine nachhaltige Stadt arbeiten, die dafür erforderlichen und berufsübergreifenden Kompetenzen und Kenntnisse erwerben.“

Eine so verstandene integrierte Stadtentwicklung nutzt beispielsweise die Querbezüge von Klimaschutz und -anpassung, Wohnungs- und Wirtschaftspolitik, Bildung, Integration, Verkehr, Hochwasserschutz etc. und erkennt die überörtliche Bedeutung all dieser Themen. Helmut Selders, Präsident des Bundes deutscher Baumschulen (BdB) e.V. sieht in der Entwicklung der letzten zehn Jahre außerdem eine deutliche Stärkung des Grün- und Freiraums: „Das im Mai 2017 vom BMUB vorgestellte ‚Weißbuch Stadtgrün‘ ist unseres Erachtens ein Meilenstein auf dem Weg zur integrierten, grünen Stadtentwicklung. Die Bundespolitik positioniert darin die Grüne Infrastruktur der Städte und Gemeinden als ein wesentliches Instrument zur Lösung vieler Zukunftsaufgaben auf kommunaler Ebene.“

Anhaltende Urbanisierung

Nach wie vor gibt es erheblichen Druck auf dem Wohnungsmarkt. Laut Angaben des Bundesbauministeriums sind bundesweit 2016 etwa 300.000 neue Wohnungen fertiggestellt worden. Für 2017 wird mit rund 325.000 Fertigstellungen, für 2018 mit etwa 335.000 Einheiten gerechnet – der Bedarf wächst also weiter. Einen besonders starken Zuwachs im Vergleich zu den Vorjahren gab es bei Neubauwohnungen in Mehrfamilienhäusern: Hier stieg die Zahl der Baugenehmigungen um 27,5 Prozent auf knapp 124.000. Bei jüngeren Wohnungsbauprojekten zeigt sich außerdem, dass die tendenziell steigenden Preise für Wohnraum zu stärkerer Nachfrage nach kleineren Einheiten führen. Gleichzeitig sind mit dieser Schrumpfung des privaten Raums zwangsläufig steigende Erwartungen an den öffentlichen Raum verbunden. Teile des Freizeitlebens verlagern sich auf Plätze sowie Parks und Gemeinschaftsgärten. Der so steigende Nutzungsdruck auf das öffentliche Grün führt zu mehr und aufwändigeren Aufgaben für Kommunen – die gleichzeitig mit schwindenden Budgets und Stellenplänen im Grünbereich kämpfen. Selders: „Dieses Dilemma können die Kommunen nicht allein auflösen, zumal die Aufgaben im Grünbereich freiwillige Aufgaben sind. Es würde schon sehr helfen, wenn die Grün- und Freiraumentwicklung der Kommunen zur Pflichtaufgabe würden.“

Öffentlichen Raum neu planen

Das Bedürfnis von immer mehr Menschen, in Städten fußläufig Grünflächen erreichen zu können, sich jenseits von Hitze, Verkehr und Lärm der Stadt in den Schatten von Bäumen setzen zu können, führt dazu, dass das Thema Stadtgrün seit einigen Jahren verstärkt auf der politischen Agenda steht. Dazu kommen neue Aufgaben im Zuge der Klimaanpassung, demographische Entwicklungen und eine veränderte Mobilität. Die Belastung der Luft mit Feinstäuben und anderen Schadstoffen einerseits, zunehmende Beschränkungen durch Fahrverbote sowie eine restriktive Parkraumpolitik führen dazu, dass immer mehr Menschen auf ein eigenes Auto verzichten. Car-Sharing-Angebote erleichtern diesen Schritt … und in großen Städten zeigt sich schon heute, dass Straßenraum wieder freigegeben bzw. alternativ genutzt werden kann. So hat sich die Pariser Stadtverwaltung im Oktober 2016 dazu entschieden, die Stadtautobahn auf der rund drei Kilometer langen Strecke am rechten Seine-Ufer zwischen dem Place de la Concorde und dem Rathaus „zurückzubauen“, wie schon am linken Seine-Ufer 2013 geschehen. Das ist Teil der seit den Neunzigerjahren begonnenen Neuorientierung des Verkehrskonzeptes und knüpft an weitere ambitionierte Vorhaben bis 2020 in Paris an. Auch im verkehrsreichen Nordrhein-Westfalen reagiert man: Der 101 Kilometer lange RS1 könnte der erste Radschnellweg der Republik sein für Pendler, Touristen und alle, die sich mit dem Fahrrad schnell auf der Achse zwischen Hamm und Duisburg bewegen möchten. Selders: „Heute gilt es, mit Mut und Weitsicht unsere Städte für die Zukunft vorzubereiten. Unsere Branche steht mit großer Expertise zu allen grünen Themen bereit, um gemeinsam mit anderen Fachleuten interdisziplinär nachhaltige urbane Lebensräume zu gestalten. Das übergeordnete Ziel ist, die hohe Lebensqualität für die Bürger zu erhalten und gleichzeitig dem Klimawandel zu begegnen. Dazu ist der Ausbau natürlicher Erholungsräume und grüner Lungen für die Menschen existenziell.“