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23.06.2017 | Brandschutz

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Hochhausbrand in London

Falscher Dämmstoff beschuldigt - Erste Einschätzung von Werner Eicke-Hennig, energie-institut hessen

Werner Eicke-Hennig, energie-institut hessen (Foto © Karin Fey)

Für den Hochhausbrand des „Grenfell Tower“ in London wird in Deutschland derzeit der Dämmstoff Polystyrol verantwortlich gemacht. Die Bilder vom Brand beweisen jedoch etwas anderes: Die Fas­sade des Londoner „Grenfell Tower“ ist keineswegs mit Polystyrol gedämmt, sondern mit Polyurethan-Hartschaum (PU).

PU hat ein völlig anderes Brandverhalten als Polystyrol. Da es kein Thermoplast ist, schmilzt es nicht und tropft nicht brennend ab. Die meisten Dämmplatten blieben deshalb in der ansonsten abgebrannten Fassade intakt. Manche Platten sind vom Brand unberührt, man sieht noch ihre gelbe Farbe. An vielen anderen hat die Hitze eine typische Waffelstruktur auf der Oberfläche erzeugt. In eine solche Platte hat die Feuerwehr zwei Löcher geschabt (1. Link).
Wir sehen: Die Platten sind nur an der Oberfläche 3 bis 5 mm durch die Hitze etwas auf­gelöst und rußge­schwärzt. Die gesamte übrige Plattendicke (6 bis 8 cm) ist unzerstört geblieben, weil die gute Dämmwirkung des Polyurethans eine Weiterleitung der Hitze in die Platte hinein unter­bindet. Diese PU-Sorte ist deshalb sogar als Brandriegel in WDVS-Systemen zugelassen. Die Dämm­platten haben den Brand also nicht „beschleunigt“, wie es nun überall heißt, sondern sich als einer der wenigen Fassadenbaustoffe erwiesen, die sich am Brand kaum beteiligten. Stattdessen ist der äußere Wetterschutz aus Aluminium-Kunststoff-Verbundplatten völlig ver­schwun­den. Die wenige Millimeter dicken ALU-Platten sind abgebrannt. Aluminium schmilzt bei 660° C und brennt. Wird es mit Wasser gelöscht, entsteht bei hohen Temperaturen sogar brennender Wasser­stoff. Auf den Filmen segeln er­kenn­bar brennende ALU-Tafeln durch die Luft. Die sichtbaren Er­eig­nisse an der Fassade gehen auch auf die brennende ALU-Außenbekleidung zurück. Erschwerend kommt der Fassadentyp hinzu. Es ha­ndelt sich voraussichtlich um eine Leichtbau­fas­sa­de (Curtain Wall). Sie besteht aus einer dünnen inneren Bekleidung mit einer Luftdichtungsfolie, der tragenden Metallrahmenkonstruktion, zwischen der die Dämmelemente eingebaut sind und einer äußeren Aluminiumverkleidung (Wetter­schutz). Die metallene Tragkonstruktion verbiegt sich bei Hitze schnell. Durch die klaffenden Fugen können Flammen und die Zimmerbrände anheizender Sauer­stoff leicht eindringen, zumal auch überall die Fenster schnell zerstört waren.

Aber woher kommen diese gewaltigen Flammen? Die Gewalt von Zimmerbränden wurde uns 1974 beim Brand eines 25 Stockwerke hohen Hochhauses in Sao Paulo tragisch vorgeführt, einem unge­dämmten Gebäude in Massivbauweise. Einen Film findet man unter dem 2. Link.

Der Brand entstand an einer Kleinkli­maanlage im 12. Stock. Er verbreitete sich in Windeseile auf der gesamten 12. Etage. Das Feuer ver­zehrte in 5 Stunden die gesamte Inneneinrichtung auf 13 Etagen. Das Gebäude brannte bis zum 25. Stock aus, denn die Flammen schlugen nach wenigen Minuten aus den Fenstern und kletterten über die zerstörten Fenster der darüber liegenden Stockwerke nach oben, indem sie im­mer wieder die Mö­bel auf den Etagen in Brand setzten. Die Flammhöhen der Feuer­walzen aus den Fenstern lagen bei 5 bis 6 m und höher. Dämmstoffe oder brennende Fassa­den­teile waren am Brand nicht beteiligt! 179 Tote musste die Feuerwehr zum Schluss zählen. Das Gebäude sah nach dem Brand nicht viel anders aus, als das Londoner Hochhaus und wurde 4 Jahre lang saniert. Man erkennt ein typisches Brandverhalten hoher Gebäude, auch bei nicht brennbaren Fassaden, das der damalige Frankfurter Feuerwehrchef Ernst Achilles auch beschrieb: Der Brand arbeitet sich über die Fen­ster und im Innern durch die Treppenhäuser und alle nicht abgeschotteten Schächte schnell nach oben, bis ihn die Feuerwehr stoppen kann. In London hat wohl nicht der Dämmstoff, sondern mög­li­cher­weise der brennba­re Wetterschutz diesen Prozess beschleunigt. Aber Vor­sicht beim Urteil, denn Brände ha­ben einen kom­plexen Verlauf: Im Innern des Londoner Gebäudes war eine Gasleitung ge­brochen und die inneren Leichtbautrennwände sind verschwunden, müssen also mitgebrannt haben.

Diesen komplexen inneren und äußeren Brandablauf kann man nicht auf den Fassadendämmstoff reduzieren. Zu dem von Achilles beschriebenen gefährlichen Brandüberschlag aus den Fenstern trug die Frankfurter Feuerwehr 2007 auf einem Mainova-Hochhaussymposium vor: „Die Forderung nach einer 1 m (hohen, d. Verf.) feuerbeständigen Brüstung ist wirkungslos.“ Heute behauptet man ohne Beweis etwas völlig anderes. Deshalb empfehlen wir, den Bericht der Londoner Feuerwehr über die Brandursachen abzuwarten. Hier geben wir nur eine erste Einschätzung auf Grundlage der Bild­quel­len und Filme, sowie Hintergrundinformationen aus der Technik.

Es sei zum Schluss noch geklärt: In Deutschland können normal oder schwer entflammbare Dämm­stof­­fe auf Hochhausfassaden nicht verbaut werden, hier sind nur nichtbrennbare Materialien zugelas­sen und wird der Brandschutz durch Sprinkleranlagen, Sicherheitstreppenhäuser, Feuerwehrfahr­stüh­le usw. unterstützt.

Anmerkung
Dipl.-Ing. Werner Eicke-Hennig, Jahrgang 1951, war bis zu seinem Ruhestand 2016 Programmleiter der „Hessischen Energiespar-Aktion“ des Hessischen Wirtschaftsministeriums.