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28.10.2016 | Unternehmensnachrichten

Stadtwerke Völklingen: Herkulesaufgabe ist geschafft

Durch Meeresfischzucht über 20 Millionen Euro Schulden angehäuft – Michael Böddeker gelingt Sanierung und Kapitaldienstfähigkeit innerhalb eines Jahres

Michael Böddeker (Foto: Stadtwerke Völklingen)

Als das Meeresfischzucht-Chaos der Stadtwerke Völklingen vor gut einem Jahr aufpoppte und bundesweit für Schlagzeilen sorgte, glaubte wohl niemand so recht an eine Zukunft des kommunalen Unternehmens. Die finanzielle Situation war mehr als prekär: Über 20 Millionen Euro hatte es in das Großprojekt versenkt, schwere Managementfehler und Misswirtschaft wurden offenbar. Doch der Turnaround ist geglückt, wie Michael Böddeker, seit einem Jahr Geschäftsführer des Stadtwerke-Konzerns, am Donnerstag (27. Oktober) bei der Bilanzpressekonferenz bekannt gegeben hat. Gemeinsam mit seinem Team hat er die schier unlösbare Aufgabe innerhalb eines Jahres geschafft – Herkules gleich. Mit einem Unterschied: Michael Böddeker hatte gleich 18 Restrukturierungsmaßnahmen für eine positive Fortführungsprognose seitens der Geldgeber zu meistern; Herkules, dem starken Helden aus der griechischen Mythologie (auch als Herakles bekannt), waren dagegen nur zwölf extrem schwierige Taten auferlegt. Beide eint, dass sie alle ihnen gestellten Aufgaben bewältigten – mit Kraft, Willen und nicht zuletzt mit Köpfchen. „Wir haben inzwischen gut 90 Prozent der Vorgaben aus dem Sanierungsgutachten umgesetzt und die Kapitaldienstfähigkeit des Konzerns wieder erlangt“, sagt Michael Böddeker.

Der Geschäftsführer erläutert die Details: „Im Restrukturierungskonzept ist ein Gesamt-Zieleffekt von rund 3,4 Millionen Euro definiert, Mitte August hatten wir Maßnahmen mit einem nachhaltigen Einspar-Effekt von gut drei Millionen Euro realisiert. Was jetzt noch zu tun ist, ist geplant und terminiert. Noch ein paar Monate, dann haben wir auch das geschafft.“

Was der erfahrene Energiemanager und Unternehmenssanierer schlicht ausspricht, lässt kaum erahnen, was er, sein Team und die Belegschaft in den vergangenen zwölf Monaten geleistet haben. Von den zahlreichen Überraschungen, die beim genauen Prüfen von Verträgen, Dokumenten und Zahlen zutage getreten sind, will der Jurist Böddeker erst gar nicht reden.

„Ich bin Ostwestfale“, sagt er schmunzelnd, „diesen Menschenschlag zeichnet eine gewisse Sturheit aus. Und wenn man stur auf Kurs bleibt, bewegt sich mit der Zeit was.“ Dass sich etwas bewegt, ist nicht nur auf der monetären Seite des Konzerns sichtbar. Am Tag nach der Bilanzpressekonferenz eröffnet das Unternehmen beispielsweise sein neues Kundencenter in der Völklinger Innenstadt – mit einer Vielzahl an Neuerungen und einer deutlich höheren Service- und Beratungsqualität.

Von Grund auf konsequent modernisiert 

Parallel zur Eröffnung des neuen Kundencenters führen die Stadtwerke Völklingen neue, wettbewerbsfähige Energieprodukte ein, erweitern ihr Online-Kundenportal und bieten künftig Produkt- und Unternehmensinformationen in sieben Sprachen an. Damit das überhaupt möglich geworden ist, mussten im Hintergrund Prozesse, Organisation und Informationstechnik optimiert sowie Mitarbeiter intensiv geschult werden. Entwickelt worden ist auch eine Offensive zur Kundenbindung und Neukundengewinnung. „Ich muss einen riesigen Schuldenberg abtragen“, betont Michael Böddeker, „das kann ich nur, wenn wir in unseren Kerngeschäftsfeldern wettbewerbsfähig sind, Kunden durch unsere Leistungen begeistern und neue Geschäftsfelder erschließen.“ Große Chancen sieht er hier nicht nur im Vertrieb und bei Energiedienstleistungen, sondern insbesondere auch bei den Netzen. „Für die Netzgesellschaft erarbeiten wir derzeit ein zukunftsweisendes Konzept, das die Chancen der Energiewende nutzt“, informiert er. Auch hierfür will Michael Böddeker neue Wege beschreiten – bei der Umsetzung wie bei der Finanzierung. „Die Energiewende findet regional statt und braucht zum Gelingen die Förderung Vieler“, meint er, „ich kann mir zur Finanzierung von Zukunftsprojekten beispielsweise auch Crowdfunding vorstellen. Das Besondere daran ist, dass mehrere Menschen oder Institutionen ein Projekt oder eine Gesellschaft finanziell unterstützen und somit eine Realisierung ermöglichen.“  

Aber zurück zum Anfang. Michael Böddeker fand bei seinem Antritt als Geschäftsführer vor allem eins vor: Lücken. Das galt sowohl für die Dokumentation als auch für die Jahresabschlüsse. Er holte sich für die Aufarbeitung der Altlasten und Erreichen der Zukunftsfähigkeit seinen langjährigen beruflichen Weggefährten Karl-Heinz Koch als kaufmännischen Leiter nach Völklingen. Beide hielten beispielsweise von 2012 bis 2013 als Interims-Vorstand die Entega AG (früher HEAG Südhessische Energie AG), Darmstadt, in schwieriger Zeit auf Kurs. Ihre erste Tat in Völklingen: Zwischen Oktober und Dezember 2015 holten sie eine Vielzahl von fehlenden Jahresabschlüssen nach. Der Stadtwerke Konzern mit seinen insgesamt knapp 250 Mitarbeitern besteht aus sage und schreibe acht Gesellschaften, die voll in die Konzernbilanz integriert sind sowie weiteren Tochtergesellschaften, bei denen die Stadtwerke oder ihre Töchter Mehrheitsgesellschafter sind.

„Die Zahl der Gesellschaften muss und wird sich verringern“, informiert Michael Böddeker, „Wir beginnen damit, dass wir in 2016 aus zwei Verkehrsgesellschaften eine machen und Anfang 2017 die Gewerbeansiedlungsgesellschaft mbH mit der Stadtwerke Holding verschmelzen. Das ist ein weiterer Schritt für mehr Effizienz.“ Bis zum Frühjahr 2016 hatten sie auch die Einzelabschlüsse aller Gesellschaften für das Geschäftsjahr 2015 fristgerecht erstellt und zudem vereinheitlicht. „Wir haben Dokumentationslücken geschlossen, die Grundsätze für die künftige Dokumentation definiert und den Prozess zur Erstellung von Jahresabschlüssen komplett neu aufgestellt“, berichtet Michael Böddeker, „damit haben wir die Transparenz deutlich erhöht und das Risikomanagement sowie die Effizienz wesentlich verbessert.“ Die beiden haben mit ihren Mitarbeitern die Verluste des Konzerns und seiner Tochtergesellschaften bilanziell verarbeitet und die Finanzierung des Konzerns gesichert. Auch Mängel aus einer IT-Umstellung in den Jahren 2014 und 2015 sind inzwischen weitestgehend behoben, die internen Abläufe optimiert.

Erfolg durch akribische Fleiß- und Kopfarbeit 

Parallel zum Aufarbeiten von Mängeln packte die neue Geschäftsführung die Vorgaben des Restrukturierungsgutachtens akribisch an: So sprach sie im Januar unvermeidbare Kündigungen aus und senkte durch Personalabbau und weiterführende Maßnahmen die Personalkosten in der Holding und im Konzern um gut 1,1 Millionen Euro jährlich. Sie hat nicht notwendiges Betriebsvermögen größtenteils verkauft; die Veräußerung einer Immobilie ist noch offen, jedoch bereits eingeleitet. Hohe Einsparungen erzielt der Konzern künftig auch durch Optimierung des Fuhrparks sowie der Material- und Sachkosten. Zusammen mit effizienzsteigernden Maßnahmen im Netz und beim Vertrieb sowie einer Neuordnung der Geschäftsbesorgung kommen hier rund 800.000 Euro zusammen. Der größte Posten mit einem dauerhaften Einspareffekt von 1,3 Millionen Euro jährlich resultiert aus der Neuausrichtung des öffentlichen Nahverkehrs. Oberstes Ziel des Kostensenkungsprogramms war es, den bisherigen Komfort für die Fahrgäste zu erhalten, unterm Strich jedoch kräftig zu sparen. Durch eine ausgeklügelte Umstellung des Linienkonzepts bleiben Taktung sowie Anzahl der Linien und Haltestellen erhalten, die Fahrkilometer reduzieren sich jedoch um 10 Prozent oder 100.000 Kilometer. Durch diese und andere Maßnahmen sinkt das Defizit von aktuell 1,9 Millionen Euro (2015: 2,3 Millionen Euro) auf künftig maximal eine Million Euro pro Jahr. Zentraler Bestandteil der Umstrukturierung waren auch Bürgersprechstunden. Michael Böddeker war es wichtig, Wünsche und Anregungen aus den Kreisen der Fahrgäste bei der Umsetzung zu berücksichtigen.

„Wichtig ist mir absolute Transparenz dessen, was wir hier tun. Anteilseigner, Geldgeber, Kunden und die Bürgerinnen und Bürger Völklingens müssen wissen, wie es wirklich um den Stadtwerke-Konzern bestellt ist und wie wir ihn zukunftsfähig machen“, betont Michael Böddeker. Vor dem Hintergrund des intransparenten Geschäftsgebarens seiner Vorgänger und der mangelhaften Information von Entscheidungs- und Aufsichtsgremien legt er darauf besonders großen Wert. Deshalb hat er auch die Öffentlichkeitsarbeit des Unternehmens insgesamt intensiviert.

Um den Stadtwerke-Konzern zu betrieblicher Normalität und Zahlungsfähigkeit zurückzuführen war die Implementierung einer Reihe weiterer Maßnahmen erforderlich. Michael Böddeker hat in seinem ersten Jahr als Geschäftsführer auch die akute Insolvenzgefahr der Gewerbeansiedlungsgesellschaft mbH erkannt und abwenden können: Zur Abwehr der Zahlungsunfähigkeit hat er eine ausgewogene Lösung entwickelt, für die er die Anteilseigner gewinnen konnte. Dadurch ist auch der Stadt Völklingen ein enormer Schaden erspart geblieben. Die Gewerbeansiedlungsgesellschaft ist die Muttergesellschaft der Meeresfischzucht Völklingen GmbH, die sich inzwischen in Liquidation befindet. Er hat Schadensersatzklagen gegen ehemals handelnde Personen vorbereitet; zwei davon sind bei Gericht eingereicht.

Auf in die Zukunft 

Was den neuen Geschäftsführer besonders freut, ist, dass die Belegschaft offensichtlich Spaß am Erfolgskurs des Stadtwerke-Konzerns hat: „Die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter sind nach anfänglicher Skepsis jetzt mit großem Engagement bei der Sache, sie ziehen mit, sind motiviert, bringen gute Ideen ein“, sagt er lächelnd und fügt an: „Was wir ihnen abverlangen, ist enorm. Schließlich blieb bei den Stadtwerken kein Stein auf dem anderen. Ich danke allen, die diesen Weg mitgehen – für eine gute Zukunft des Stadtwerke-Konzerns und eine hohe Lebensqualität in Völklingen.“ Als städtische Gesellschaft seien die Stadtwerke dafür mitverantwortlich: „Wir werden die Unwägbarkeiten vollends aus dem Weg räumen und die Zukunft so gestalten, dass Konzern und Stadt langfristig etwas davon haben.“ Dazu zählen für ihn beispielsweise Investitionen in erneuerbare Energien, clevere Energiedienstleistungen, Unterstützung von Start-ups, Elektromobilität und der Aufbau einer Smart City.: