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04.12.2016 | Gebäudemanagement

Wieviel darf die Zukunft des Bauens kosten?

Die „Hessische Energiespar-Aktion“ informiert --- HESA - Interview mit dem Nürnberger Architekt Dr. Burkhard Schulze Darup

Dr. Burkhard Schulze Darup (Foto © „Hessische Energiespar-Aktion“)

Der Nürnberger Architekt hat mit die umfassendsten Bauerfahrungen zu Passivhäusern in Deutschland. Was sagt er zu der heutigen Kritik an diesem Energiesparstandard des Bauens. Als erster Teil einer Interviewserie wollten wir wissen: Was darf die Zukunft kosten?

Herr Dr. Schulze Darup, Sie bauen seit zwei Jahrzehnten Jahren Passivhäuser. Diese Gebäude kosten etwas mehr, kommen aber mit 1,5 Liter Heizöl pro m² Wohnfläche und Jahr für das Heizen aus. Wie hoch lagen die Mehrkosten bei Ihrem ersten Passivhaus?

Mein erstes Passivhaus war in den 1990er Jahren ein Einfamilienhaus. Unser Architekturbüro hat da viel unbezahlte Arbeit reingesteckt, aber auch viel Freude an der Arbeit gehabt. Das Haus hat rund 100 EURO pro m² Wohnfläche mehr gekostet, gegenüber einem nach damaliger Wärmeschutzverordnung errichteten Haus.

Was sagen Sie einer Wohnungsbaugesellschaft, deren erstes Mehrfamilienhaus in Passivhausstandard im Jahr 2015 Mehrkosten von 220 EURO pro m² Wohnfläche erzeugte?

Eigentlich ein gutes Ergebnis für ein erstes Haus. Die Planer konnten gewiss damit Erfahrungen sammeln, die zu Kostensenkungen bei den nächsten Gebäuden führen werden. Mit einem erfahrenen Planungsteam kann man Passivhäuser mit Mehrkosten zur EnEV 2016 um 70 bis 100 EURO pro m² Wohnfläche bauen. Zum Vergleich, die Baukosten eines Tiefgaragenplatzes liegen bei 20.000 EURO, das sind 200 EURO pro m² bei einer Wohnung mit 100 m², ohne jegliche Kostendiskussion.

Wenn die Mehrkosten, wie nach einer Umfrage in Schleswig-Holstein mit 400 EURO pro m² aus dem Ruder laufen. Was sind da meist die Ursachen?

Es kommt immer ein Bündel zusammen. Ein wenig kompakter Entwurf, verzwickte Detaillösungen, Vor und Rücksprünge in der Vertikalen und Horizontalen, wie z. B. bei ehrgeizigen Erkerformen, zu große „repräsentative“ Fensterflächen, weder an Belichtung noch am Sonnenschutz orientiert. Vor allem ist meist die Gebäudetechnik zu aufwendig. Bei Passivhäusern mit hohen Baukosten ist sie oftmals unnötig überdimensioniert, angefangen von der Zentrale über das Verteilsystem bis hin zu komplizierten Regelungen.

Aber Lüftungsanlagen braucht es im Passivhaus!?

Die braucht es eigentlich in jedem Gebäude, um gute Raumluftqualität sicherzustellen. Lüftungsanlagen müssen sorgfältig geplant werden. Anlagen mit hohen Baukosten von 80 EURO pro m² Wohnfläche oder mehr sind oft schlecht konzipiert und werden mit zu hohen Luftvolumina betrieben. Die Folge ist ein erhöhter Heizenergie- und Stromverbrauch. Das gilt erst recht, wenn die Inbetriebnahme nicht sorgfältig durchgeführt wird. So wie der Dachdecker ein dichtes Dach garantiert, muss der Lüftungsbauer einen stromsparenden, komfortablen Betrieb seiner Anlage garantieren.

Wie hilft die Förderung der KfW? Sind statt der Mehrkosten nicht die Jahres-Betriebskosten entscheidend?

Passivhäuser sind ja nicht vorgeschrieben und werden gefördert. Mit den aktuellen Rahmenbedingungen der KfW-Förderung erfreuen sich unsere Passivhaus-Bauherren einer geringeren Jahreskostenbelastung aus Kapital- und Heizkosten als ein Bauherr mit einem Haus nach Energieeinsparverordnung. Und das bei einem freiwillig angestrebten Standard höchster Qualität. Außerdem ist es beruhigend in 20 bis 30 Jahren sagen zu können, das ist technisch immer noch top, während der Nachbar energetisch sanieren muss. Das haben auch Banken verstanden. Sie legen zukünftig hohen Wert auf zukunftssichere und nachhaltige Immobilien.

Aber darf die Zukunft nicht auch ein bisschen mehr kosten, wenn sie mehr Wohnqualität bringt? Heizte die Bauernfamilie am offenen Herdfeuer in der zugigen Bauernhausdiele nicht am billigsten?

Genau, es geht um die Verbesserung der baulichen Qualitäten. Dieses Bedürfnis erzeugte in der Menschheitsgeschichte immer einen Material-Mehraufwand. Die Baukosten stiegen stets und wurden immer heftig diskutiert. Aus dem Steinkreis der Feuerstelle sind Heizkessel, Rohrleitungen, Heizkörper und Regelung geworden. Komponenten, die wir übrigens im Passivhaus zu großen Teilen wieder einsparen, ohne zum offenen Feuer zurückzukehren. Im Wiederaufbau beklagte man in den Fünfzigern die gestiegenen Baukosten für Elektroleitungen, Bäder, WC, Majolika-Kacheln, größere Wohnungen etc. Der Wiederaufbau hat trotzdem stattgefunden. Heute liegt das Problem darin, dass die Notwendigkeit des energiesparenden Bauens noch nicht voll akzeptiert wird, während 1950 ein gekacheltes Bad in der Bevölkerung gewünscht und die Mehrkosten vom Staat im sozialen Wohnungsbau auch subventioniert wurden.

Tiefgaragenbaukosten von über 200 EURO pro m² werden akzeptiert, bauliche Mehrkosten von 100 EURO pro m² für den Energiesparstandard der Zukunft kritisiert, da stimmt etwas nicht?

Ja das hat etwas Morbides. Wie Stellplatzschlüssel und zukünftige Mobilitätskonzepte zusammenpassen, wird sich erweisen. Es ist leider so, dass wir beim Bauen immer zeitversetzt dabei sind, die Mängel der Vergangenheit zu sanieren. Das tun wir gerade mit hohem Aufwand im deutschen Gebäudebestand, dessen Energieverbrauch früher beim Bau leider keine Rolle spielte. Mit dem Passivhaus haben Bauherren die Möglichkeit, aus diesem Teufelskreis auszubrechen. Das kann enorm beruhigend wirken: Eine Rente ohne spürbare Heiz- und Sanierungskosten, etwas Wertbeständiges, besser als Geld auf der Bank.

Herr Dr. Schulze Darup, vielen Dank für das Interview.

Die „Hessische Energiespar-Aktion“ ist ein Projekt des Hessischen Ministeriums für Wirtschaft, Energie, Verkehr und Landesentwicklung.