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13.12.2016 | Gebäudesanierung

"Hessische Energiespar-Aktion" - "Bärendienst für die Umwelt"

Die „Hessische Energiespar-Aktion“ informiert: „Bärendienst für die Umwelt“ – Interview zur Entsorgung von Dämmstoffen aus Polystyrol (EPS) mit HESA-Programmleiter Werner Eicke-Hennig

HESA-Programmleiter Werner Eicke-Hennig (Foto: HESA)

Herr Eicke-Hennig, am Freitag den 16. Deztember entscheidet der Bundesrat nach drei Monaten erneut darüber, ob Dämmstoffe aus Polystyrol (EPS) als „gefährlicher Abfall“ eingestuft bleiben. Wie gefährlich ist das unter dem Markennamen „Styropor“ bekannte Polystyrol?

Polystyrol ist ein reiner Kohlenwasserstoff und deshalb z.B. auch als Lebensmittelverpackung zugelassen. Polystyrollacke zieren viele Einbauküchen, EPS polstert den Helm des Radlers, selbst Skistiefel sind aus Polystyrol. Eine Gefahr für das menschliche Leben geht von dem Stoff nicht aus. Die neue Einstufung wendet sich nicht gegen den Dämmstoff, sondern gegen das darin bis 2015 enthaltene Flammschutzmittel HBCD.

Also keine akute Gefahr und trotzdem eine Einstufung als „gefährlicher Abfall“ seit Oktober 2016 in der Abfallverzeichnisverordnung?

So ist es. Die Einstufung wurde vom Hessischen Umweltministerium nur aus „formalen Gründen“ in den Bundesrat eingebracht, ohne dass konkrete Umweltgefahren vom Dämmstoff ausgehen. Das bromierte Flammschutzmittel HBCD wurde erst spät als „persistent“ erkannt. Es reichert sich in Organismen an, da es nur sehr langsam abgebaut wird. Aus EPS-Dämmstoffen gelangt aber kein HBCD in die Umwelt. Der zuständige Referatsleiter aus dem hessischen Umweltministerium sagte uns: „…mir sind keine Studien bekannt, die einen Austritt des HBCD aus Dämmstoffen belegen würden. Vielmehr lassen die geringe Wasserlöslichkeit des HBCDs (.) und dessen Einbindung in die Matrix des Polystyrols sowie die geringe Wasseraufnahmefähigkeit insbesondere von XPS keine Mobilisierung des HBCD aus den Dämmstoffen erwarten.“ Es besteht keine akute Gesundheitsgefahr durch EPS-Dämmstoffe.

Formale Gründe, was kann man darunter verstehen?

Das Flammschutzmittel HBCD (nicht das Polystyrol) wurde in der Genfer UN-Chemikalienkonferenz 2013 verboten. Deshalb haben die Hersteller von Dämmstoffen, Polstermöbeln, Textilien, Hartplastikgehäusen von Haushaltsgeräten usw. recht schnell auf andere Flammschutzmittel umgestellt. Schon ab 2016 gibt es keine Dämmstoffe mehr in Deutschland, die HBCD enthalten. Zusätzlich fordert die Einstufung von HBCD in die Stockholmer POP-Verordnung, die den Umgang mit persistenten Stoffen regelt, dass bei der Entsorgung HBCD-haltiger Abfälle der persistente Stoff zerstört oder unumkehrbar umgewandelt wird. Das hat die Mehrheit der Bundesländer zum Anlass genommen, ausgerechnet bei der 2016 erfolgten Novelle der Abfallverzeichnisverordnung eine Einstufung des Polystyrols als „gefährlichen Abfallstoff“ gegen den Bund durchzusetzen, quasi in Vollzug der EG-POP-Verordnung. Federführend war dabei das Hessische Umweltministerium.

Nun fallen EPS-Dämmstoffe ja heute noch nicht in größeren Mengen an. Warum hat das Bauhandwerk jetzt ein Problem mit der Entsorgung von Polystyroldämmstoffen?

EPS-Baustellenabfall und –abriss lag bisher auf Deponien und bei MVA im Promille-Bereich der jährlich hereinkommenden Tonnagen. Eine Studie des Fraunhofer Instituts für Bauphysik zeigt derzeit weniger als 3.000 Tonnen Dämmstoffabriss pro Jahr für ganz Deutschland, bei 9 Mio. Jahrestonnen deponierten Massivbauabbruch. Aber Dämmstoffe sind voluminös, sie bestehen zu 98 Prozent aus Luft. Deshalb ist z.B. der Bauhof eines Dachdecker- oder Malerbetriebs schon mit dem Dämmstoffabriss eines einzigen Flachdachs oder einer Dämmfassade verstopft, wenn die Entsorger und Deponien nicht mehr annehmen. Die Handwerker baden nun die unvorbereitete und unnötige Einstufung des EPS als „gefährlicher Abfall“ aus. Denn diese dürfen nicht auf allgemeinen Bauschuttdeponien deponiert und können in Müllverbrennungsanlagen nur verbrannt werden, wenn diese Anlagen eine Genehmigung dazu haben. Das traf in Hessen bis Oktober 2016 nur auf die MVA Kassel zu.

Nur eine Annahmestelle in Hessen? Dann gibt es bestimmt in den angrenzenden Bundesländern mehr Möglichkeiten zur Entsorgung, oder?

Nein, leider nicht. Nach Angabe des ITAD – das ist der Verband der Müllverbrenner – verfügen nur etwa 10 von 80 MVA in Deutschland über die entsprechende Erlaubnis, gefährliche Dämmstoffabfälle anzunehmen. Aber selbst das reicht nicht, denn alle MVA sind zu 95 bis 100 Prozent ausgelastet. Weitere Probleme ergeben sich im Anlagenbetrieb. Die MVA haben weder genügend Lager-Platz, noch sind sie darauf eingerichtet, die Dämmstoffabfälle dem sonstigen Müll unterzumischen. Zudem sorgen sich die MVA`s um ihr Image, wenn „gefährliche Abfälle“ dort verbrannt werden und nehmen EPS nur in begrenzten Mengen, da dessen hoher Heizwert Ofenstörungen verursachen kann.

Haben dann vielleicht die Bundesländer die durch ihren eigenen Beschluss nötigen neuen Entsorgungswege nicht bedacht?

Eine durchdachte Lösung sieht anders aus. Nötig wären Vorgespräche mit den Entsorgern, den MVA und der Zementindustrie gewesen, Zementöfen eignen sich hervorragend für das Verbrennen von EPS-Dämmstoffen. Mit den Spitzen der Handwerksverbände und den gewerblichen Entsorgungsbetrieben wären die Entsorgungswege zu besprechen gewesen. Noch im Frühjahr 2016 zeigte uns eine Anfrage bei der MVA Offenbach, dass man dort von einer Genehmigung für das Verbrennen von EPS nichts wusste. Das Bauhandwerk hat nun das Problem: beim Transport „gefährlicher Abfälle“ muss die Verordnung für den Transport von Abfällen berücksichtigt werden, d.h. Bescheinigungen, Gebühren usw. Ein Erlass des Hessischen Umweltministeriums, pro Tonne gemischten Baustellenabfall könnten 0,5 m³ EPS enthalten sein, sollte Entspannung schaffen, ist aber praxisfremd. Denn wo EPS abgerissen wird, fällt kaum sonstiger Bauabfall zum Mischen an. Zusätzlich ist es verboten, gefährliche Abfälle mit anderen Abfällen zu mischen, um damit eine „günstigere“ Einstufung zu erzielen. Wenn die Behörden das frisch als gefährlicher Abfall eingestufte Polystyrol mal eben wieder zu „gemischten Baustellenabfall“ zurückstufen, zeigt das den großen Entsorgungsengpass. Die Gefahr wächst, dass EPS auf „ungeordneten“ Entsorgungswegen beseitigt wird. Das wäre dann ein Bärendienst für die Umwelt.

Verteuert sich das Bauen durch die Einstufung als „gefährlicher Abfallstoff“. EPS hat doch einen großen Anteil am Dämmstoffmarkt.

Ja die Entsorgung von EPS ist momentan teurer als neues EPS kostet. Das hessische Umweltministerium hat vor 2 Jahren eine „Allianz“ für bezahlbaren Wohnraum geschaffen. Das jetzt ohne Not geschaffene Problem hat die Baustoffentsorgung nicht verbessert, sondern ist dabei, das Bauen zu verteuern und gleichzeitig der Umwelt zu schaden. Die Transportwege für Dämmstoffabfälle verlängern sich durch die neuen Regelungen, das erhöht die verkehrsbedingten Emissionen.

Hätte es denn Alternativen gegeben?

Erstens gab es keinen zeitlichen Zwang. Zweitens haben andere EU-Staaten – Beispiel Österreich – auch ohne die Einstufung als „gefährlicher Abfall“ Lösungen gefunden. Man hätte die Beteiligten in Ruhe einbeziehen können, das ist bei anderen EU-Verordnungen auch üblich. Drittens wurden die auf dem Kreislaufwirtschaftsgesetz basierenden Anstrengungen der Dämmstoff-Industrie ignoriert, die bis 2020 mit dem CreaSolv®-Verfahren in einer Pilotanlage ein Recyclingverfahren für EPS-Dämmstoffe vorlegen wird. In diesem Verfahren wird u.a. das HBCD sicher abgetrennt und beseitigt. Das Dämmstoffvolumen reduziert sich gleich an der Abbruchbaustelle durch Verflüssigung um 98 Prozent, das reduziert Transporte. Eine Pilot-Anlage ist derzeit in Planung, die Organisation der Entsorgung soll bis 2020 geschaffen werden. Bis dahin hätte man das alte Verfahren beibehalten können, es tritt ja ohnehin kein HBCD aus den Dämmplatten aus. Bleibt es hingegen bei der Einstufung des EPS als „gefährlicher Abfall“ wird auch dieses neue Recyclingverfahren erschwert. Das Hessische Umweltministerium kannte übrigens das CreaSolv®-Verfahren schon 2015.

Gibt es nicht auch Alternativen zum Polystyrol als Dämmstoff?

Wer Alternativen sucht, findet am Dämmstoffmarkt über 30 Dämmstoffarten. Nur sind die bisher fast alle teurer. Die Frage, welcher Dämmstoff eingesetzt wird, hängt vor allem am Preis. Das ist der wesentliche Grund, warum EPS einen Marktanteil von fast 50 Prozent am Dämmstoffmarkt hat. Polystyroldämmstoffe waren seit der Energiekrise deshalb auch ein sozialer Problemlöser, weil das Material energiesparsame Wohnungen zu günstigsten Baukosten ermöglichte. Und seit 2015 enthalten EPS-Dämmstoffe kein HBCD als Flammschutzmittel mehr.

Wie wird jetzt mit den ebenfalls HBCD enthaltenden Hartschalen von Haushaltsgeräten, Handys, Computern, den beschichteten Heimtextilien usw. umgegangen?

Die wurden ausdrücklich von der Neuregelung ausgenommen. Die Gründe sind mir nicht bekannt.

Herr Eicke-Hennig, Zeit für ein Schlusswort

Mir fällt immer eine Parallele ein: Das Treibgas FCKW wurde in den achtziger Jahren als Problem erkannt und langsam über 30 Jahre gegen weniger ozonschädliche Mittel ausgetauscht. Noch heute nutzen wir FKW als Ersatzstoffe und es hat auch niemand auf Haarspray und Klimaanlagen verzichtet. Dagegen hat die Dämmstoffwirtschaft beim HBCD-Problem nicht in 30, sondern in 3 Jahren reagiert und baut nun sogar das CreaSolv®-Recyclingverfahren auf. Das sollte man nicht ohne Not stören, die Dinge waren doch schon auf einem guten Weg. Man hätte nur hinschauen müssen.

Das Interview führte: Herr Norbert Hain, Geschäftsführer des Landesinnungsverbandes der Dachdecker Hessen, Weilburg