Baumaßnahmen und Pflegearbeiten in Schulen sind ein Gesundheitsproblem
Deutschlands Schüler und Lehrer leben mit dem Risiko, durch den Bau und die Sanierung von Gebäuden mit schadstoffhaltigen Baustoffen, schlechte Möbel und Fehler bei Reinigung und Kleinreparaturen in ihrer Gesundheit geschädigt zu werden. Das ist das Ergebnis des Modellprojektes „Gesunder Lebensraum Schule“ von TÜV Rheinland und Sentinel Haus Institut.
Die gute Nachricht: Ein überschaubares Qualitätsmanagement gewährleistet eine gesunde Raumluft für besseres Lernen und ist nahezu kostenneutral. Eine Fachkonferenz am 28. April in Köln informiert ausführlich über die Problematik und Lösungen.
Auf sechs Milliarden Euro beziffert das Deutsche Institut für Urbanistik den Investitionsstau bei deutschen Bildungsgebäuden. Doch im Zuge der (energetischen) Sanierung, die rund 85 Prozent des Bauvolumens ausmacht, laufen Schulträger und die beteiligten Planer Gefahr, neue Fehler zu begehen.
Da Standards für die Innenraumhygiene, wie die Empfehlungen des Umweltbundesamtes, nicht verbindlich sind, können Klassenräume und ganze Schulen durch Altlasten in der Bausubstanz, aber auch durch Schadstoffe in neuen, bauaufsichtlich zugelassenen Bauprodukten stark belastet sein. Auch in Möbeln und Reinigungsmitteln können Schadstoffe stecken. Die Folge sind Kopfschmerzen, Unwohlsein und schwerwiegendere Krankheiten wie Allergien. Häufig werden die Symptome erst gar nicht mit den Reparatur- oder Reinigungsarbeiten in Verbindung gebracht.
Gesundheit nicht dem Zufall überlassen
„Die Erfahrungen von TÜV Rheinland und dem Sentinel Haus Institut zeigen regelmäßig Auffälligkeiten hinsichtlich der gesundheitlichen, und hygienischen Qualität in neu errichteten oder renovierten Bildungsräumen“, betonte Dr. Walter Dormagen, Geschäftsfeldleiter Gefahrstoffe, Mikrobiologie und Hygiene bei TÜV Rheinland. Die häufigsten Auslöser sind Lösemittel, Formaldehyd, Weichmacher und auch so genannte Topfkonservierer, die Allergien auslösen oder verstärken können. Nicht nur lästig oder ermüdend sind dauerhaft unangenehme Gerüche oder ein hoher Gehalt an Kohlendioxid durch mangelhafte Lüftung. Aus Kostengründen wird häufig auf den Einbau von Lüftungsanlagen oder die Umsetzung eines Lüftungskonzeptes verzichtet. Oft sind Lüftungsanlagen aber auch schlecht installiert und gewartet.
Dazu kommen Schimmel- und Feuchteschäden sowie Altlasten wie Asbest, PCB, Holzschutzmittel oder teerhaltige Kleber, die durch die Sanierung freigelegt und damit aktiviert werden können. Durch die nahezu luftdichte Gebäudehülle nach einem Austausch der Fenster oder einer Außenwanddämmung ist der Luftwechsel häufig so gering, dass Schadstoffe aus vorhandenen Bauteilen zum Problem werden. Ein Beispiel ist das in hohen Konzentrationen krebserregende Formaldehyd. Ein weiteres Problemfeld sind Reaktionen zwischen alten Substanzen und neuen Materialien, etwa bei der Sanierung von Fußböden und Wänden.
„In Deutschland werden hunderttausende Bauprodukte gehandelt. Nur für einen ganz kleinen Teil existieren verlässliche Prüfzeugnisse, die eine Beurteilung der gesundheitlichen Wirkung erlauben“, sagte Peter Bachmann, Geschäftsführer des Sentinel Haus Instituts (SHI). Gemeinsam verfügen TÜV Rheinland und das SHI über Angaben zu rund 3.600 Produkten. Darunter sind solche, die von TÜV Rheinland geprüft wurden, sowie zertifizierte Produkte, die andere etablierte Label, wie zum Beispiel das natureplus-Qualitätszeichen, tragen.
Wie sicher gesundheitlich geprüfte Produkte sind, zeigen die Messungen in einem der Modellklassenzimmer, die auf dem Gelände von TÜV Rheinland aufgebaut sind: Schon nach sieben Tagen wurden in dem mit gezielt ausgewählten Baustoffen ausgestatteten Raum die Empfehlungswerte des Umweltbundesamtes für flüchtige organische Stoffe und Formaldehyd unterschritten. Eine weitere gute Nachricht ist, dass die geprüften Baustoffe eine verlässliche Qualität haben und bezahlbar sind.
„Im Zusammenspiel neuer Baustoffe untereinander und dann zusätzlich mit vorhandenen Substanzen gibt es unendlich viele Kombinationsmöglichkeiten. Wer hier nicht vorher prüft und testet, spielt mit dem Zufall, und damit mit der Gesundheit von Kindern und Lehrpersonal“ betonte Bachmann. Es sei völlig unverständlich, dass Autos alle zwei Jahre auf ihre Sicherheit geprüft werden, Bildungsbauten aber in der Regel nur bei Problemfällen nämlich dann, wenn Kinder oder Lehrer über gesundheitliche Probleme klagen. Besonders nach dem Abschluss von Baumaßnahmen sollten Innenräume überwacht werden, da Schadstoffbelastungen in der Raumluft häufig erst zeitverzögert auftreten.
Planer, Handwerker und Betreiber brauchen Unterstützung
Wie heftig die Belastungen ausfallen können, zeigte sich bei der Simulation mehrerer Modernisierungs- und Sanierungszyklen in den Modellklassenzimmern. Der Empfehlungswert des Umweltbundesamtes von 300 Mikrogramm VOC pro Kubikmeter wurde direkt nach Malerarbeiten oder der Erneuerung des Fußbodenaufbaus zum Teil um das 300-fache überschritten. Auch bei Formaldehyd wurden mit bis zu 1.300 Mikrogramm je Kubikmeter eine mehr als 20fache Überschreitung des Empfehlungswertes der Weltgesundheitsorganisation WHO (60 µg/m³) registriert. Häufig führt die Unkenntnis von Planern, Handwerkern und Reinigungspersonal zu Fehlverhalten. Etwa durch das Vermischen ungeeigneter bauchemischer Materialien und falsche Verarbeitungsmengen und Verarbeitungsorte. Kommen dann noch Zeitdruck und unzureichende Lüftungsphasen hinzu, wie es bei der Sanierung in Ferienzeiten üblich ist, sind gesundheitliche Probleme vorprogrammiert.
Die gesundheitliche Qualitätssicherung in Bildungsbauten ist mit dem Abschluss der Bauarbeiten nicht beendet, sondern setzt sich mit der Auswahl der Möbel und der Schulung des Reinigungspersonals fort. Qualitätsunterschiede gibt es auch im Bereich der Möblierung, wobei es im vorliegenden Projekt zwischen geprüften und ungeprüften Produkten keine extremen Abweichungen gab. Die Prüfung der Auswirkung von Reinigungsprodukten dauert an.
Beratung und Informationen für Schulträger, Planer und Nutzer
So wie es Fachplaner für Statik, Brandschutz und Akustik gibt, braucht es Fachkompetenz für die Innenraumhygiene. Ein entsprechender Fachplaner hat die gesundheitsrelevanten Hygiene- und Qualitätsaspekte im Bau-, Modernisierungs-, Instandhaltungs-, und Reinigungsprozess im Blick und verhindert spätere Schäden und Kosten.
Wissen rund um die Thematik hilft auch bei unvorhergesehenen Problemfällen. Sei es das erfolgreiche Krisenmanagement gegenüber Eltern, Presse oder die richtigen Maßnahmen zur Beurteilung der Belastung. Auf einer Fachkonferenz am 28. April in Köln bieten TÜV Rheinland und SHI mit Hilfe zahlreicher Fachleute kompakte aber umfassende Informationen rund um das gesündere Bauen, Renovieren und Betreiben von Bildungsbauten.
TÜV Rheinland und das SHI werden die Messreihen fortsetzen, um weitere Erkenntnisse zu gewinnen und Problembereiche zu identifizieren. Zudem werden in den kommenden Monaten nach und nach Leitfäden für die Vergabe von Bau- und Dienstleistungen bei Neubau, Sanierung, Instandhaltung, Reparaturen, Modernisierung, Nutzung und Reinigung erarbeitet. Weitere Aspekte sind Vorgaben für die Auswahl geeigneter Baustoffe und deren Verarbeitung sowie die Erarbeitung von Kriterien für die Qualitätssicherung und -kontrolle beim Bau und der Sanierung von Bildungsbauten. Auch für Hausmeister und Reinigungspersonal und sogar für die Eigenleistungen von Eltern sind Informationsmaterialien geplant.
Alle Informationen zur Fachkonferenz „Gesunder Lebensraum Schule“ am 28. April 2015 in der Zentrale von TÜV Rheinland: siehe Link
Weitere Informationen zum Modellprojekt und zum Thema Gesünderes Bauen und Sanieren: siehe Link 2 und 3
Leitfaden für Innenraumhygiene in Schulgebäuden des UBA: Link 4