Schuldenbremse: Länder sollten bei gesetzlicher Umsetzung maximalen Spielraum bewahren
Nordrhein-Westfalen sollte ein einfaches Gesetz (ohne Verfassungsrang) zur Schuldenbremse beschließen, das der Haushaltspolitik den größtmöglichen Spielraum lässt. Zu diesem Schluss kommt eine Expertise, die das Institut für Makroökonomie und Konjunkturforschung (IMK) der Hans-Böckler-Stiftung im Auftrag des DGB Nordrhein-Westfalen erstellt hat.
Die denkbaren Alternativen – auf eine gesetzliche Regelung ganz zu verzichten oder die Schuldenbremse in die Landesverfassung aufzunehmen – wären aus Sicht der IMK-Finanzexpertin Dr. Katja Rietzler deutlich schlechter. Ohne ausdrückliche Regelung wäre die Landesregierung nach den Vorgaben des Grundgesetzes ab 2020 gezwungen, ohne Rücksicht auf den Konjunkturzyklus in jedem einzelnen Jahr einen ausgeglichenen Haushalt vorzulegen. Dies sei „die denkbar schlechteste Lösung“, so Rietzler, denn auch „in Konjunkturabschwüngen oder Notlagen“ bestünde dann „ein erheblicher Druck zu prozyklisch wirkenden Ausgabenkürzungen“. Ausführungsbestimmungen zur Schuldenbremse gleich mit Verfassungsrang auszustatten, wäre ebenso problematisch, weil Verfassungsänderungen nur schwer zu korrigieren sind. Angesicht mangelnder Erfahrung mit dem Instrument Schuldenbremse sei aber zu erwarten, dass sich bei einer heute getroffenen Regelung nach einigen Jahren im Praxiseinsatz Anpassungsbedarf abzeichne. Die Expertise wird heute im Düsseldorfer Landtag vorgestellt.
Grundsätzlich sieht das IMK die auf Bundesebene 2009 beschlossene Schuldenbremse kritisch, weil sie eine konjunkturgerechte Finanzpolitik erschwert. Die in einigen Ländern problematische Haushaltssituation sei nicht, wie von Befürwortern der Schuldenbremse häufig unterstellt, in erster Linie der Ausgabenseite anzulasten. Entscheidend sei vielmehr, dass den Gebietskörperschaften durch die Steuerrechtsänderungen seit Ende der 1990er-Jahre Einnahmen in dreistelliger Milliardenhöhe entgangen sind. Weiterhin war es nach Auffassung des IMK ein Fehler, entgegen der sogenannten „Goldenen Regel der Finanzpolitik“ auch öffentliche Nettoinvestitionen dem Verschuldungsverbot zu unterwerfen.
Da die Schuldenbremse aber im Grundgesetz festgeschrieben ist, raten die Wissenschaftler nun, bei der Umsetzung auf Landesebene wenigstens „einen maximalen Handlungsspielraum“ zu wahren. NRW könne sich Regelungen einiger anderer Bundesländer zum Vorbild nehmen, die bereits entsprechende Gesetze beschlossen haben. Allerdings nutzten die bislang insgesamt sechs Bundesländer mit eigenen Regelungen die „vorhandenen Spielräume in einem sehr unterschiedlichen Maße“.
Im Kern geht es nach der IMK-Analyse darum, zu verhindern, dass die Schuldenbremse Länder zwingt, wirtschaftliche Krisen durch Kürzungspolitik weiter zu verschärfen. Gespart werden müsse vielmehr in guten Zeiten. Dies setzt allerdings relativ treffsichere Einschätzungen der konjunkturellen Entwicklung voraus. Auf Bundesebene wird zur Ermittlung von Auf- und Abschwüngen ein komplexes Verfahren zur Schätzung des sogenannten Produktionspotenzials verwendet, dessen Ergebnisse dann auf Landesebene heruntergebrochen werden. Hessen hat dieses „aggregierte Quotierungsverfahren“ ins Landesrecht übernommen, um die Schuldenbremse konjunkturverträglich zu machen.
Eine transparentere Lösung haben nach Einschätzung des IMK aber Baden-Württemberg, Rheinland-Pfalz und Hamburg gefunden: Sie nutzen das einfachere Steuertrendverfahren, denn auf „der Länderebene wirken sich konjunkturelle Schwankungen primär bei den Steuereinnahmen aus“. Dies bedeutet für die Schuldenbremse: Bei sprudelnden Steuereinnahmen kann Geld zurückgelegt werden, bei rückläufigen Einnahmen wird die Wirtschaft nicht durch Stornierung öffentlicher Aufträge weiter geschwächt. Diesen Ansatz empfiehlt das IMK auch für NRW. Dabei sollten hinreichend lange Zeiträume für die Berechnung von Steuertrends verwendet werden, um aus kurzfristigen Schwankungen keine falschen Schlüsse zu ziehen. Zudem müsse ausgeschlossen werden, dass „das Land seinen Haushalt zu Lasten der Kommunen konsolidiert“.
Nötig sind laut IMK außerdem Bestimmungen für „Notsituationen“. Darunter fallen nicht nur Naturkatastrophen. Auch wenn auf europäischer oder Bundesebene Entscheidungen fallen, die für das Land zu „dauerhaften Mehrausgaben oder Mindereinnahmen führen“, sei eine Notlage gegeben. Rheinland-Pfalz hat dafür zeitlich befristete Abweichungen von den Vorgaben der Schuldenbremse zugelassen. Umstritten ist, ob diese Regelung verfassungskonform ist, sagt IMK-Finanzexpertin Rietzler, aus ökonomischer Sicht sei sie jedoch sinnvoll.