Rohre verlegen so einfach wie Kabel ziehen
Umweltfreundliches Heizen mit Fernwärme liegt heute im Trend. Einer der Vorreiter in diesem Bereich sind die Stadtwerke Gießen, die schon vor 30 Jahren das erste Blockheizkraftwerk mit Kraft-Wärme-Kopplung (KWK) in Betrieb nahmen. Inzwischen werden hier zahlreiche Haushalte per Heißwasserleitung bequem mit Wärme versorgt. Die Erschließung neuer Gebiete und die Herstellung neuer Verbindungen innerhalb der hessischen Kreisstadt stellen jedoch oft eine bauliche Herausforderung dar: So verläuft unter einer Bahnunterquerung nur ein schmaler Entwässerungskanal, in den das Fernleitrohr für Vor- und Rücklauf in einem Stück eingebracht werden musste.
Aufgrund der nötigen Straßensperrungen stand zudem nur ein sehr enges Zeitfenster zur Verfügung. Verwendet wurde daher eine flexible, doppelwandige Lösung der Brugg Rohrsysteme GmbH, die sich wie ein Kabel am Stück einziehen lässt. Zudem kompensiert das wendelgewellte Rohr Druck und Wärme selbstständig, wodurch keine Dehnungsbögen oder Kompensatoren benötigt werden und der Einbauaufwand sehr gering ausfällt. Für die Verlegung der insgesamt 130 m langen Strecke reichten auf diese Weise zwei Wochen aus.
Eine effiziente und vor allem umweltfreundliche Energieerzeugung steht im Fokus der Stadtwerke Gießen (SWG), die dazu unter anderem zwei Biogasanlagen, mehrere Hackschnitzel-Heizwerke, über 110 KWK-Anlagen und sogar ein Wasserrad betreiben. Der Ausbau eines weitläufigen Fernwärmenetzes fügt sich nahtlos in dieses Konzept ein, ermöglicht es doch, die Abwärme der verschiedenen Kraftwerke sinnvoll zu nutzen. Allerdings gestaltet sich die Einbringung neuer Anschlussleitungen innerhalb des bebauten Stadtgebiets mitunter schwierig, größere Aushubarbeiten oder längere Verkehrssperrungen sind nach Möglichkeit zu vermeiden.
Dies galt insbesondere für das Verbindungsstück zwischen Hollerweg und Margaretenhütte, das nicht nur den weiten Gleisbereich vor dem Gießener Bahnhof unterqueren sollte, sondern auch an einer stark frequentierten Straße liegt. Um den Eingriff hier möglichst gering zu halten, entschieden sich die Stadtwerke, einen vorhandenen Schacht zu verwenden, der bislang Gas- und Wasserleitungen enthielt sowie zur Schmutzwasserabfuhr diente. „Aus Platzgründen mussten die Arbeiten in dem Tunnelbauwerk aber ohne Schweißverbindungen ausgeführt werden“, so Stefan Ruckstuhl, Projektleiter Fernwärmerohrnetze bei den SWG. Zusätzlich verboten die gemauerten Wände eine Fixierung mit Rohrschellen, so dass ein Einbau herkömmlicher Rohre praktisch ausgeschlossen war. Die Stadtwerke wandten sich daher an Brugg Rohrsysteme, mit denen sie bereits 2012 beim Bau eines Lahn-Dükers gute Erfahrungen gemacht hatten.
Flexible Leitung lässt sich wie Kabel ziehen
„Bei der ersten Sichtung der Bedingungen war die zentrale Frage für uns: ‚Wie kriegen wir die Rohre da rein?’“, erinnert sich Sven Meyer, Montageleiter bei Brugg. Die Experten entschieden nach Begutachtung der baulichen Gegebenheiten, dass die beiden Leitungen für Vor- und Rücklauf jeweils am Stück eingebracht werden mussten, was ein flexibles Rohr erforderte. Zum Einsatz kamen Flexwell-Fernheizkabel, die das Unternehmen genau für derartige Anwendungen entwickelt hatte und die sich durch ihre hohe Biegsamkeit auszeichnen. Die auf einem Metallkabel basierende Ursprungsidee wurde dazu bei Brugg immer weiter verfeinert, optimiert und um weitere Konstruktionsmerkmale wie eine Isolierung oder spezielle Anschlussverbinder ergänzt. Daraus ergab sich eine ganze Baureihe flexibler Fernwärme-Rohrleitungen von DN 25 mit 1000 m Maximallänge und 1 m minimalem Biegeradius bis zu DN 150 mit 230 m Länge und 6 m Biegeradius.
Zusätzlich sorgt die wendelgewellte Gestaltung der Rohre dafür, dass die Leitungen Wärmeeinwirkungen oder Druckschwankungen aufnehmen und ausgleichen können, ohne dass es zu relevanten Formveränderungen kommt. Dadurch entfallen die sonst bei Heizwasserrohren nötigen Zusatzkomponenten wie Dehnungsbögen oder Kompensatoren; das Fernheizkabel kompensiert alle etwaigen Einflüsse in sich. In Verbindung mit ihrer Flexibilität wird es dadurch möglich, die Leitungen ähnlich wie Stromkabel mit Hilfe von Verlegetrommeln zu installieren. Die 130 m langen und 0,31 m dicken Rohre wurden einfach durch den Schacht gezogen, Schweißarbeiten zur weiteren Anbindung waren somit nur an den Endstellen notwendig. Ebenso wurde auch zur Lagerung der Rohre im Tunnel auf eine bewährte Lösung aus dem Elektrobereich zurückgegriffen: Die Installateure zogen die Rohre vorsichtig auf Kabelpritschen, wobei diese innerhalb des Schachtbauwerks so angelegt wurden, dass die Leitungen zuverlässig in der Halterung fixiert sind.
Doppelte Wandung, robustes Material und Alarmsystem für maximale Sicherheit
Für maximale Sicherheit und eine lange Lebensdauer sind die Fernheizkabel doppelwandig ausgeführt. Innen- und Außenrohr werden aus widerstandsfähigem Edelstahl gefertigt, um eine hohe Korrosionsbeständigkeit und die Diffusionsdichte der Leitung zu gewährleisten. Zusätzlich werden die Rohre an der Außenseite zum Schutz mit Polyment und Polyethylen beschichtet, so dass sie auch aggressiven Umgebungen wie dem Schmutzwasser in dem unterirdischen Kanal standhalten. Zwischen den beiden Rohren ist ein Isolationsschaum aus flexiblem Polyurethan eingebracht, der Wärmeverluste beim Transport des heißen Wassers minimiert und so den Wirkungsgrad der Fernwärmeversorgung steigert.
In den Dämmschaum eingebettet liegen die Meldeadern für alle gängigen Überwachungssysteme, mit dem Feuchtigkeitseintritte sofort registriert und somit Leckagen frühzeitig entdeckt werden können. Das System reagiert sowohl auf Schäden am äußeren wie am inneren Rohr und meldet die fehlerhafte Stelle mit einer Genauigkeit von 0,2 Prozent der überwachten Leitungslänge. Diese präzise Positionierung erlaubt eine rasche und zielgerichtete Reparatur ohne lange Betriebsunterbrechung.
Statt sieben nur zwei Wochen Arbeitszeit für die Rohrverlegung
Dank der robusten und dennoch flexiblen Gestaltung ließen sich die Fernheizkabel von Brugg trotz der schwierigen baulichen Bedingungen in Rekordzeit verlegen: Die erste Leitung wurde noch Ende Dezember eingezogen, die zweite Anfang Januar – beide innerhalb von jeweils einer Woche. „Dass wir die Rohre wie Kabel legen können, bedeutet eine enorme Zeitersparnis“, so Meyer. „Allein die Verwendung von Rohrschellen statt der Kabelpritschen hätte ein bis zwei Wochen mehr Zeit gekostet. Insgesamt hätte man mit herkömmlichen starren Rohren rund sieben Wochen für diese Installation veranschlagen müssen.“
Im Rahmen der Montage der Fernwärmerohre wurde zusätzlich der bestehende Kanal durch die Mittelhessischen Wasserbetriebe saniert. „Insgesamt liefen alle Arbeiten reibungslos und zuverlässig“, berichtet Stadtwerke-Projektleiter Ruckstuhl. „In einem nächsten Schritt werden wir nun noch die Gas- und Wasserleitungen in eigener Verlegung erneuern.“