Forscher empfehlen Investitionen - IMK: Aufschwung gefährdet, aber im Kern noch intakt
Die deutsche Wirtschaft wird 2014 und 2015 nicht so stark wachsen wie noch vor wenigen Monaten erwartet. Im Kern ist der Aufschwung aber noch intakt. Das Bruttoinlandsprodukt (BIP) wird in diesem Jahr um 1,5 Prozent im Jahresdurchschnitt zulegen.
Im kommenden Jahr dürfte die konjunkturelle Dynamik zunehmen und das Wachstum bei 1,9 Prozent liegen. Die Beschäftigung entwickelt sich positiv, die Arbeitslosigkeit wird in beiden Jahren leicht sinken. Das ergibt die neue Konjunkturprognose des Instituts für Makroökonomie und Konjunkturforschung (IMK) in der Hans-Böckler-Stiftung. Sie wird heute auf einer Pressekonferenz in Berlin vorgestellt.
Die Forscher empfehlen, in Deutschland schnell die öffentlichen Investitionen zu stärken. Damit ließen sich zwei Ziele erreichen: Eine Erneuerung der Infrastruktur sei zentral, um längerfristiges Wachstum zu sichern. Zugleich stimuliere die erhöhte Nachfrage die Konjunktur in Deutschland und im Euroraum, was dabei helfe, die hartnäckige Wachstumsschwäche in vielen Ländern der Währungsunion zu überwinden. Damit werde auch das derzeit nicht zu unterschätzende Risiko einer Deflation verringert. Zur Finanzierung rät das IMK unter anderem, die historisch niedrigen Zinsen und Spielräume bei der Haushaltskonsolidierung zu nutzen und langfristige Staatsanleihen auszugeben. Investitionen über „Öffentlich-Private-Partnerschaften“ (ÖPP) umzusetzen sei im Vergleich dazu deutlich teurer.
Gegenüber ihrer Voraussage vom Juli reduzieren die Konjunkturforscher die Wachstumserwartung für 2014 um 0,3 und für 2015 um 0,4 Prozentpunkte. Gründe für die ungünstigere Prognose sind die schleppende Entwicklung im Euroraum – für die Währungsunion ohne Deutschland prognostiziert das IMK in diesem Jahr quasi Stagnation mit einem Mini-Wachstum von 0,2 Prozent – sowie die Krisen in der Ukraine und im Nahen Osten. „Der Aufschwung ist fragiler als noch vor kurzem gedacht. Die Aussichten für das kommende Jahr sind weniger optimistisch“, sagt Prof. Dr. Gustav A. Horn, der Wissenschaftliche Direktor des IMK. „Doch wir sind glücklicherweise derzeit in Deutschland noch ein gutes Stück entfernt von einer Stagnation oder einem Abschwung. Das gilt umso mehr, wenn stabile Euro-Länder wie Deutschland vorhandene fiskalische Freiräume für Investitionen nutzen. Die Wirtschaftspolitik kann also etwas tun, wir sind der internationalen Entwicklung nicht ausgeliefert – und sie schlägt zwei Fliegen mit einer Klappe.“ Das sei auch eine gute Strategie, um Druck von der Geldpolitik der Europäischen Zentralbank (EZB) zu nehmen, betont Horn: „Wer nicht will, dass die EZB beim Ankauf von Anleihen und Verbriefungen immer neue Risiken eingeht, muss die Geldpolitik fiskalpolitisch flankieren.“
Kräftigere Binnennachfrage stützt das Wachstum
Das IMK geht in seiner Basisprognose nicht von einer drastischen Verschärfung der internationalen Konflikte aus, hat dafür aber gleichwohl ein Risikoszenario berechnet (siehe Seite 22 im Prognose-Report; Link unten). Als Stützen der insgesamt positiven Wirtschaftsentwicklung identifizieren die Forscher ein stabiles Wachstum in den USA und in den meisten Schwellenländern, von dem deutsche Exporteure ebenso profitieren wie vom schwächeren Euro. Vor allem aber macht sich laut IMK die bessere Balance der deutschen Volkswirtschaft positiv bemerkbar: Anders als im vergangenen Jahrzehnt hänge das Wachstum nicht mehr allein am Außenhandel, sondern es wird wesentlich von der kräftigeren Inlandsnachfrage getragen.
Motor dieser Entwicklung seien die verfügbaren Einkommen, die 2014 real um 1,2 Prozent und 2015 um 1,6 Prozent steigen werden. Eine nicht unerhebliche Rolle spielen dabei ab 2015 der Mindestlohn sowie das Rentenpaket der Bundesregierung. Noch wichtiger als Faktor eines balancierten Wachstums ist nach Analyse des IMK eine dauerhaft produktivitätsorientierte Lohnentwicklung. Darunter verstehen die Ökonomen eine Steigerung der Bruttolöhne und gehälter, die sich an der mittelfristigen Produktivitätszunahme und der Zielinflationsrate der Europäischen Zentralbank orientiert. Die Summe beider Größen definiert einen Korridor von 3 bis 3,5 Prozent. Für dieses Jahr prognostiziert das IMK einen Anstieg der Bruttolöhne und -gehälter je Stunde um 2,6 Prozent. Für 2015 rechnen die Forscher mit 3,4 Prozent.
Spielraum für dringend nötige Investitionen
Aus Sicht der Forscher besitzen mindestens zehn Mitgliedsstaaten der Währungsunion Spielräume, um ihre öffentlichen Investitionen auch kurzfristig zu stärken. Insbesondere Deutschland habe signifikante finanzielle Möglichkeiten und angesichts von großen Defiziten in der Infrastruktur auch einen besonders hohen Bedarf, konstatiert das IMK. Die Forscher haben verschiedene Möglichkeiten analysiert, höhere Investitionen zu finanzieren. ÖPP halten sie für keine geeignete Option. Da Unternehmen für Kredite deutlich höhere Zinsen zahlen müssen als der deutsche Staat, würden sich solche Projekte nur lohnen, wenn private Finanziers Bau und Unterhalt von Straßen oder Gebäuden deutlich günstiger hinbekämen als öffentliche Auftraggeber. Genau diese Hoffnung haben jedoch ausführliche aktuelle Untersuchungen von Rechnungshöfen in Bund und Land widerlegt. „Die Rechnungshof-Berichte machen klar: Der Staat verschenkt viel Geld, wenn er den Umweg über eine private Vorfinanzierung nimmt“, sagt IMK-Direktor Horn.
Die Forscher plädieren daher dafür, Investitionen nicht länger zu verschieben und das historisch niedrige Zinsniveau zu nutzen. Schuldenbremse und Fiskalpakt beschränkten zwar die Kreditaufnahme der öffentlichen Hand. Da Deutschland die Konsolidierungsanforderungen in den vergangenen Jahren deutlich übererfüllt habe, verfüge der Staat aber über Freiräume. So könne der Bund 2015 ein Defizit von 20 Milliarden Euro ausweisen und ab 2016 könnten jeweils 10 Milliarden über Kredite für Investitionen mobilisiert werden. Flankierend empfehlen die Forscher eine Finanzierung weiterer Investitionen über höhere Nutzergebühren, beispielsweise eine höhere LKW-Maut, und gezielte, moderate Steuererhöhungen auf hohe Einkommen und große Vermögen.
Kerndaten der Prognose für Deutschland:
Arbeitsmarkt
Das Wirtschaftswachstum lässt die Beschäftigung weiter steigen und die Arbeitslosigkeit sinken. Die Zahl der Erwerbstätigen im Inland nimmt 2014 um gut 300.000 Personen oder 0,7 Prozent im Jahresdurchschnitt zu. 2015 steigt sie um weitere 240.000 (0,6 Prozent). Die Zahl der Arbeitslosen nimmt im Jahresdurchschnitt 2014 um knapp 50.000 auf rund 2,9 Millionen Menschen ab. Das entspricht einer Arbeitslosenquote von 6,7 Prozent. 2015 wird die Zahl der Menschen ohne Job erneut um 40.000 im Jahresdurchschnitt zurückgehen. Die Quote liegt bei 6,6 Prozent.
Außenhandel
Die Nachfrage aus den USA und den meisten Schwellenländern (außer Russland) verstärkt sich wieder. Davon profitiert insbesondere 2015 der deutsche Export: 2014 wächst die Ausfuhr von Waren und Dienstleistungen um durchschnittlich 3,4 Prozent, 2015 um 7,1 Prozent. Die Importe legen infolge der stärkeren Binnennachfrage 2014 um 4,2 Prozent im Jahresmittel zu, 2015 um 8,5 Prozent. Der starke deutsche Leistungsbilanzüberschuss wird somit ein wenig kleiner.
Private Investitionen
Die verhaltene Entwicklung im Euroraum hat die Investitionsbereitschaft der Unternehmen im Frühjahr 2014 gebremst. In der zweiten Jahreshälfte wird die Zurückhaltung aber überwunden: 2014 wachsen die Ausrüstungsinvestitionen um 5,5 Prozent. 2015 legen sie sogar um 8,7 Prozent zu.
Einkommen und Konsum
Die real verfügbaren Einkommen steigen 2014 um durchschnittlich 1,2 Prozent, die realen privaten Konsumausgaben nehmen um 1 Prozent zu. 2015 werden die real verfügbaren Einkommen und die privaten Konsumausgaben um jeweils 1,6 Prozent wachsen.
Inflation und öffentliche Finanzen
Die allgemeine Preisentwicklung in Deutschland ist sehr moderat. Im Jahresdurchschnitt 2014 und 2015 liegt die Teuerungsrate laut IMK bei lediglich 1,1 und 1,3 Prozent.
Von der wirtschaftlichen Entwicklung profitiert auch die öffentliche Hand. Das Staatsbudget wird 2014 einen leichten Überschuss von 0,4 Prozent des BIP aufweisen. Für 2015 prognostiziert das IMK einen Überschuss von 0,5 Prozent.