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03.01.2013 | Bibliotheken, Schul- und KITA-Einrichtung, Soziale Stadt/PPP-Projekte, Stadtplanung

Gemeinsam oder einsam

Bücher, Zeitschriften oder Filme kann man heute von Bibliotheken ganz einfach übers Internet ausleihen. Werden die öffentlichen Einrichtungen mit der fortschreitenden Digitalisierung überflüssig?

Der Aufbau einer Nervenzelle hat es in sich. Das ist dem Modell im Bio-Buch auf den ersten Blick anzusehen. Für Sophia und ihre Freundinnen wird das kein entspannter Nachmittag werden. Morgen steht die Klausur dazu an. Jetzt brüten sie über ihren Schulbüchern, googlen nach Erklärungen und chatten mit Freunden, die heute ebenfalls pauken.
Sophia geht in die elfte Klasse eines Berliner Gymnasiums. Ihr Smartphone und ihren kleinen tragbaren Computer nutzt sie täglich: für die Hausaufgaben oder um sich Musik auf ihren MP3-Player zu laden.

"Auf diese neue Welt müssen sich auch die Bibliotheken einstellen", sagt Monika Ziller, die Vorsitzende des Deutschen Bibliotheksverbands e.V. (dbv). "Mit der zunehmenden Digitalisierung verändert sich das Nutzerverhalten dramatisch."
Bibliotheken erweitern deshalb seit Jahren ihr Angebot. Sie bieten Internet-Arbeitsplätze, CDs und DVDs - und mittlerweile gibt es in rund 500 Öffentlichen Bibliotheken die elektronische Ausleihe.
"So können immer mehr unserer Kunden E-Books, Wochenmagazine oder Hörspiele bequem downloaden", sagt Ziller.

Mit der zunehmenden Digitalisierung kommt zugleich die Frage auf, ob Bibliotheken als Orte noch eine Zukunft haben. Schließlich müssen die Nutzer sie immer seltener aufsuchen, um das Angebot wahrzunehmen. Schaffen sich die Bibliotheken selbst ab?
Sophia und ihre Freundinnen haben das für sich beantwortet. Sie haben sich an diesem Nachmittag wieder einmal in der Bibliothek ihres Stadtteils getroffen. "Hier gibt es jede Menge Bücher, die wir zusätzlich zu unseren Schulbüchern nutzen können und im Internet können wir hier auch surfen", sagt die 16-Jährige. "Außerdem macht es eben Spaß, sich zu treffen, das bringt mehr als sich alles allein reinzupauken."

Trotz der digitalen Möglichkeiten sind die Öffentlichen wie die wissenschaftlichen Bibliotheken teilweise rappelvoll. Die Nutzerzahlen steigen seit Jahren. "Wir haben in den Öffentlichen Bibliotheken mittlerweile 11 Millionen registrierte Leser und 700.000 Besuche an jedem Werktag", sagt Monika Ziller.
"Die Bibliothek als Treffpunkt ist beliebt wie nie zuvor - allerdings nur, wenn sie bestimmte Kriterien erfüllt."

Die Rolle der Bibliotheken wandelt sich
Wie ein modernes Bibliotheks-Konzept aussieht, zeigt das Beispiel der Neuen Stadtbücherei Augsburg. Im Zentrum der Stadt hat sie im Jahr 2009 neue Räume bezogen. Diese sind hell, die Sitzmöbel sind in warmen Orange- und Rottönen gehalten. In der Bücherei gibt es zudem ein Café.
"Bei uns fühlen die Menschen auf Anhieb, dass sie willkommen sind. Nach dem Umzug haben sich die Nutzerzahlen verdoppelt", sagt Lutzenberger.
42 Prozent der aktiven Nutzer seien unter 18 Jahre alt. Bei der Planung der Bücherei ergab sich die Möglichkeit, andere Einrichtungen in dasselbe Gebäude zu integrieren - die Beratungsstelle des Stadtjugendrings etwa oder das Büro für Bürgerschaftliches Engagement.

"Durch die räumliche Nähe ergeben sich viele Kooperationen", sagt der Bücherei-Leiter. "Außerdem entdecken viele Besucher auf ihrem Weg in eine der anderen Einrichtungen, was für eine schöne Bibliothek es in ihrer Stadt gibt."
So werde das Konzept "Für alle offen" täglich gelebt. "Wir haben Angebote für Menschen in allen Lebensphasen, aus allen Bevölkerungsschichten und aus unterschiedlichen Kulturen."

"Die Augsburger Bücherei zeigt, dass sich die Rolle einer Bibliothek kontinuierlich ändert", sagt Monika Ziller. "Die Bürger wünschen sich eine lebendige Bibliothek, die Internet-Arbeitsplätze bietet, Lese-Ecken, Veranstaltungen und Räume, in denen sich Gruppen zum Arbeiten treffen können."

Als Kultur- und Bildungseinrichtungen seien Bibliotheken heute immer noch unverzichtbare Kommunikationsorte. "Darüber hinaus spielen Öffentliche Bibliotheken in der Leseförderung eine unersetzliche Rolle", sagt Ziller.
"In der Zusammenarbeit mit Kitas und Schulen unterstützen die Bibliothekare zum Beispiel die Arbeit der Lehrer und Erzieher."
Das alles sei jedoch nur durch starke Partner finanzierbar, weiß Lutzenberger. "Die öffentliche Förderung unserer Bibliothek würde bei weitem nicht ausreichen, um diese Angebote aufrecht zu erhalten."
Private Sponsoren, ein aktiver Förderverein und die Hilfe von 80 ehrenamtlichen Mitarbeitern mache das in wesentlichen Teilen erst möglich. Das ist der Punkt, an dem die Verbandsvorsitzende Ziller vehement einhakt. "Wir erleben in unserer täglichen Arbeit, dass Bibliotheken als Orte von den Bürgern gesucht werden, aber gleichzeitig sparen die Kommunen seit Jahren auf breiter Linie bei ihnen."
Die öffentliche Grundförderung müsse deshalb dringend erhöht werden. "Es kann doch nicht sein, dass wir gesellschaftlich wichtige Funktionen übernehmen, aber dafür keine ausreichende Finanzierung erhalten."

Der Sonntag ist ein Tag mit besonders vielen Besuchern
Die zunehmende Digitalisierung erleben auch die wissenschaftlichen Bibliotheken. Forscher und Studierende lesen Fachmagazine heute großenteils auf dem Computer, Dozenten stellen Artikel-Ausschnitte in so genannten elektronischen Semesterapparaten zusammen. "Auch da könnte man sich natürlich fragen, ob die Bibliothek als Ort überhaupt noch gebraucht wird", sagt Petra Hätscher, die Direktorin der Universitätsbibliothek Konstanz. Doch das sei viel zu kurz gedacht. Bibliotheken seien aus vielerlei Gründen auch in Zukunft nicht ersetzbar. "Bei uns findet man zum Beispiel eine Arbeitsatmosphäre, die Konzentration und Ruhe statt Ablenkung ermöglicht", sagt Hätscher. Darüber hinaus seien Bibliotheken gewachsene Orte des Wissens und der Begegnung. "Ihre kulturelle Bedeutung darf man nicht unterschätzen."

In der Konstanzer Freihandbibliothek könnten Besucher 2,2 Millionen Bücher und Zeitschriften nutzen. Es gebe zudem weit mehr als 1000 Arbeitsplätze, Räume für Gruppen, Lese-Ecken. Die Nutzer schätzten auch die flexiblen Dienstleistungen, für die die Bibliothek mehrfach ausgezeichnet wurde: einen Dokumentlieferservice für Wissenschaftler, Kurse zu Informationskompetenz und vieles mehr. "Hier wirken neue Technologien unterstützend, nicht als Ersatz", ist sich Petra Hätscher sicher.

Bestätigt wird die Einschätzung durch Fakten. "Unsere Uni-Bibliothek ist das gesamte Jahr über sehr gut besucht", sagt Hätscher. "Wir haben knapp 11.000 aktive Nutzer." In der Bibliothek, die bereits seit dem Jahr 2001 rund um die Uhr und an nahezu allen Tagen im Jahr geöffnet ist, sei der Sonntag ein Tag mit besonders vielen Besuchern. "Wir haben dann mitunter 1000 Nutzer bei uns im Haus", sagt Hätscher. "Die Menschen kommen also lieber zu uns als allein vor dem Bildschirm zu sitzen."

"Wir erleben derzeit einen rasanten Wandel unserer Medienwelt", sagt Dr. Klaus Ceynowa, der Stellvertretende Generaldirektor der Bayerische Staatsbibliothek (BSB). "Und wir stehen erst am Anfang dieser Entwicklung." Die Bibliotheken würden deshalb aber nicht an Attraktivität verlieren. Im Gegenteil: Bibliotheken blieben vielmehr ein wichtiger Treffpunkt und Arbeitsplatz. "Sie sind semi-öffentliche Plätze am Schnittpunkt zwischen Privatem und Öffentlichem", sagt der Generaldirektor. "Diese besondere Atmosphäre macht sie interessant."

An der starken Nutzung zeige sich zudem das menschliche Grundbedürfnis nach sozialer Kommunikation. Um diesem Bedürfnis gerecht zu werden, müssten die Bibliotheken aber auch in die Lage versetzt werden, eine entsprechende Aufenthalts- und Erlebnisqualität zu bieten. "Wir brauchen einfach attraktive Räumlichkeiten, einen modernen Medienmix für alle Altersgruppen und nutzerfreundliche Öffnungszeiten", sagt Ceynowa. Für eine solide Grundausstattung sei deshalb auch in den wissenschaftlichen Bibliotheken die öffentliche Hand gefragt.

Vielleicht nutzen Sophia und ihre Freundinnen eines Tages eine wissenschaftliche Bibliothek für ein Biologie-Studium. Das Ergebnis ihrer Klausur wird ihren künftigen Weg mitbestimmen, ebenso wie die Bildungsmöglichkeiten, die ihnen zur Verfügung stehen. Die Bibliotheken würden gern noch mehr dazu beitragen, sagt Monika Ziller.

(Autor: dbv)

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