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19.10.2011 | Abfallwirtschaft

Gewerbliche Wertstofftonne setzt sich durch - Berlin-Brandenburg billigt "Gelbe Tonne Plus"

Mit zwei Beschlüssen vom 13.10.2011 (Az.: OVG 11 S 67.10 und OVG 11 S. 71.10) hat das Oberverwaltungsgericht Berlin-Brandenburg die Beschwerden des Landes Berlin und des kommunalen Entsorgungsunternehmens gegen die Zulassung des Sammelsystems "Gelbe Tonne Plus" durch das Verwaltungsgericht Berlin (Beschlüsse vom 25.10.2010, Az.: VG 10 L 274.10 und VG 10 L 330.10) zurückgewiesen.

Bei der "Gelben Tonne Plus" handelt es sich um ein Sammelsystem, bei dem über die Verpackungsabfälle hinaus stoffgleiche Nichtverpackungsabfälle, Metalle, Kunststoffe, Holz und Elektrokleingeräte im Wege einer "gewerblichen Sammlung" im Sinne von § 13 Abs. 3 Satz 1 Nr. 3 KrW-/AbfG miterfasst werden. Auf diesem Wege werden zwei Ausnahmetatbestände von der kommunalen Überlassungspflicht (§ 13 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 und Nr. 3 KrW-/AbfG) miteinander kombiniert. Im Ergebnis kann so eine private Systemführerschaft für die Wertstofftonne etabliert werden.
In Berlin sind aktuell ca. 410.000 Haushalte an die "Gelbe Tonne Plus" angeschlossen; das Sammelvolumen an Nichtverpackungsabfällen beträgt 4.500 Jahrestonnen.

Das OVG Berlin-Brandenburg hat im Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes die Auffassung der Vorinstanz bestätigt, dass das Aussetzungsinteresse des privaten Entsorgers hinsichtlich seiner Klage gegen die Untersagungsverfügung des Landes Berlin das öffentliche Vollzugsinteresse überwiegt. Das OVG hat daher zunächst darauf abgestellt, dass nicht eindeutig festgestellt werden könne, dass das Altpapierurteil des Bundesverwaltungsgerichts vom 18.06.2009 (BVerwG, 7 C 16.08) gerade bezüglich seines engen Sammlungsbegriffs europarechtskonform ist. Hierbei bezieht sich das OVG auch auf die Mitteilung der Kommission zum notifizierten Entwurf des Gesetzes zur Neuordnung des Kreislaufwirtschafts- und Abfallrechts vom 29.06.2004 sowie auf die Gegenäußerung der Bundesregierung zur Stellungnahme des Bundesrates (BT-Drs. 17/6645).

Das OVG schließt sich damit implizit einer Lesart des Europarechts an, die das Wettbewerbsprinzip höher gewichtet als die öffentliche Daseinsvorsorge.
Weiter stützt das OVG die Zulassung der "Gelben Tonnen Plus" darauf, dass dieses Sammelsystem im Einvernehmen aller Beteiligten eingeführt und auch im Abfallwirtschaftskonzept des Landes Berlin verankert worden sei.
Dem Hinweis im Abfallwirtschaftskonzept, dass der "Gelben Tonne Plus" die Rechtsgrundlage fehle, misst das OVG keine entscheidende Bedeutung bei. Auch würde der vorläufige Fortbestand des Sammelsystems der "Gelben Tonne Plus" nicht geeignet sein, Organisation und Planungssicherheit des öffentlich-rechtlichen Entsorgungsträgers mehr als nur geringfügig zu beeinträchtigen.

Darüber hinaus könne das Interesse des öffentlich-rechtlichen Entsorgungsträgers am Erhalt derjenigen Abfälle, zu deren schadloser Entsorgung er verpflichtet sei, nicht maßgeblich sein. Denn aufgrund der offenen europarechtlichen Fragen könne gerade nicht ohne Weiteres vom Bestehen einer Überlassungspflicht für Wertstoffe aus privaten Haushaltungen ausgegangen werden.
Auch der Umstand, dass das kommunale Entsorgungsunternehmen mit einem verringerten Abfallaufkommen, geringeren Wertstofferlösen und einem verringerten Behältervolumen planen und kalkulieren müsse, lasse einen relevanten Nachteil nicht erkennen.

Das OVG nimmt auch zur Frage Stellung, ob die Behinderung der Einführung einer kommunalen Wertstofftonne für den Sofortvollzug sprechen könne. Denn das kommunale Entsorgungsunternehmen hatte ebenfalls mit dem Aufbau einer Wertstofferfassung im Holsystem begonnen, das sich auf die Wertstoffe aus privaten Haushaltungen mit Ausnahme der Verpackungsabfälle bezieht. Hierzu führt das OVG aus, dass der Bestand der "Gelben Tonne Plus" sich nur auf ca. ein Viertel der privaten Haushalte im Land Berlin erstrecke. Demnach sei die kurzfristige Einführung des kommunalen Wertstoffsystems für die verbleibenden drei Viertel der Haushalte weiterhin möglich. Auch könne das kommunale Entsorgungsunternehmen seine Wertstofftonne auch alternativ zur "Gelben Tonne Plus" den an diese angeschlossenen privaten Haushalten anbieten, es könne sich dabei lediglich nicht auf eine Überlassungspflicht nach § 13 Abs. 1 Satz 1 KrW-/AbfG berufen.

Schließlich zieht das OVG auch die Regelungen zur gewerblichen Sammlung im Entwurf eines Gesetzes zur Neuordnung des Kreislaufwirtschafts- und Abfallrechts (§ 17 Abs. 3 KrWG-E) heran. Danach könne es nicht ausgeschlossen werden, dass die Wertstoffsammlung "Gelbe Tonne Plus" nach der von der Bundesregierung vorgeschlagenen Neuregelung zulässig ist.

Mit den Entscheidungen des OVG Berlin-Brandenburg vom 13.10.2011 liegen erstmals obergerichtliche Beschlüsse zur Zulässigkeit einer privaten Wertstofftonne vor. Auch wenn die Beschlüsse im Eilverfahren ergangen sind, zeichnet sich - auch ausdrücklich gestützt auf die aktuelle Novellierungsdiskussion - die Tendenz ab, die Erfassung eines Wertstoffgemisches aus privaten Haushalten im Wege einer "gewerblichen Sammlung" für zulässig zu erachten.

"Kompromissvorschlag" des BMU zur Regelung der gewerblichen Sammlungen

Die Beschlüsse des OVG Berlin-Brandenburg erhalten dadurch besonderes Gewicht, dass nach jüngsten Formulierungsvorschlägen aus dem BMU für § 17 Abs. 3 KrWG-E die rechtlichen Voraussetzungen für gewerbliche Wertstoffsammlungen weiter erleichtert werden. So sollen nach den Vorstellungen des BMU aus der vergangenen Woche nach § 17 Abs. 3 Satz 2 KrWG-E nur noch "wesentliche Beeinträchtigungen" von Planungssicherheit und Organisationsverantwortung der öffentlich-rechtlichen Entsorgungsträger bei der Prüfung überwiegender öffentlicher Interessen berücksichtigt werden können. Hiermit nimmt das BMU ausweislich der Begründung eine For-mulierung zugunsten der Schaffung von Wettbewerb bei der Hausmüllentsorgung auf, die die Europäische Kommission in ihrer Mitteilung vom 29.06.2011 gefordert hatte.
Damit entspricht das BMU dem Anliegen der Kommission, Wettbewerb bei der Hausmüllentsorgung auch dann zuzulassen, wenn dies strukturelle Änderungen des kommunalen Entsorgungssystems erfordert, obwohl die Kommission gegenüber anderen Mitgliedstaaten vergleichbare Einwände nicht erhoben hat.

 In § 17 Abs. 3 Satz 3 des jüngsten Formulierungsvorschlages werden wesentliche Beeinträchtigungen der Planungssicherheit und der Organisationsverantwortung des öffentlich-rechtlichen Entsorgungsträgers dahingehend konkretisiert, dass diese dann anzunehmen sind, wenn durch die gewerbliche Sammlung auch Abfälle einer haushaltsnahen Getrennterfassung der Kommune erfasst werden sollen, die Stabilität des Gebührenhaushalts gefährdet wird oder der Ausschreibungswettbewerb um Entsorgungsleistungen erheblich erschwert oder unterlaufen wird.

Von besonderer Bedeutung ist, dass nach den Sätzen 4 und 5 in § 17 Abs. 3 KrWG-E weiterhin ein Gleichwertigkeitsvergleich durchgeführt werden muss, bei dem die gemeinwohlorientierte Servicegerechtigkeit, die Qualität, der Umfang, die Effizienz und die Dauer der Leistungen der gewerblichen Sammlung einerseits und des öffentlich-rechtlichen Entsorgungsträgers andererseits zu berücksichtigen sind.

Die Beibehaltung der Gleichwertigkeitsprüfung ist deswegen bedeutsam, weil diese auch dann durchzuführen ist, wenn der öffentlich-rechtliche Entsorgungsträger bereits eine haushaltsnahe Getrennterfassung für die betreffende Wertstofffraktion unterhält. Fällt der Gleichwertigkeitsvergleich zugunsten des gewerblichen Sammlers aus, so ist auch eine haushaltsnahe Getrennterfassung des öffentlich-rechtlichen Entsorgungsträgers nicht mehr geschützt (§ 17 Abs. 3 Satz 4 KrWG-E).

Diese Neuregelung muss als eine deutliche Verschärfung gegenüber dem Kabinettsentwurf vom 30.03.2011 zu Lasten der öffentlich-rechtlichen Entsorgungsträger begriffen werden. Denn nach der Begründung des Kabinettsentwurfs war insbesondere von der Höherwertigkeit eines Holsystems gegenüber einem Bringsystem auszugehen (S. 207). Damit sind zwar einerseits kommunale Wertstoffhöfe nicht mehr geschützt. Andererseits konnte hieraus der Schluss gezogen werden, dass ein öffentlich-rechtlicher Entsorgungsträger, der ein eigenes, haushaltsnahes Getrennterfassungssystem unterhält, gegenüber einer gewerblichen Sammlung derselben Abfallfraktion geschützt ist, da der gewerbliche Sammler insoweit keine höherwertigere Dienstleistung mehr anbieten kann.

Nach der jetzt gefundenen Formulierung muss sich jedoch auch eine haushaltsnahe Getrennterfassung des öffentlich-rechtlichen Entsorgungsträgers einer Gleichwertigkeitsprüfung mit gewerblichen Sammelleistungen unterziehen. Damit wird im Ergebnis ein Wettbewerb der haushaltsnahen Erfassungssysteme des öffentlich-rechtlichen Entsorgungsträgers und des gewerblichen Sammlers implementiert.
Hinsichtlich der künftigen Trägerschaft der Wertstofftonne bedeutet dies, dass die gewerbliche Sammlung in Gestalt der "Gelben Tonne Plus" kaum wird unterbunden werden können. Denn der private Träger der "Gelben Tonne Plus" wird sich stets auf die höhere Effizienz seines Sammelsystems berufen können, da dieses auf einer bestehenden Logistik (Gelbe Tonne) aufsetzt und keine zusätzlichen Logistikleistungen erbracht werden müssen.
Es ist kaum denkbar, dass sich vor diesem Hintergrund eine kommunale Wertstofftonne, die eine zusätzliche Wertstofflogistik erfordert, im geforderten Gleichwertigkeitsvergleich durchsetzen kann.

Sollte der aktuelle Formulierungsvorschlag aus dem BMU Gesetz werden, so dürfte hiermit der Streit um die Systemführerschaft für die Wertstofftonne entschieden sein. Insbesondere vor dem Hintergrund der jüngsten Beschlüsse des OVG Berlin-Brandenburg stünden der flächendeckenden Einführung der "Gelben Tonne Plus" keine rechtlichen Hindernisse mehr entgegen.
Dies würde im Übrigen auch dann gelten, sollte das Prinzip der Produktverantwortung auf stoffgleiche Nichtverpackungsabfälle ausgeweitet werden. Denn auch in diesem Fall könnte das Duale System im Wege der gewerblichen Sammlung stets auf weitere Wertstoffe aus privaten Haus-haltungen ausgeweitet werden, die (noch) nicht den Regelungen der Produktverantwortung unterliegen.
Die kommunale Hausmüllentsorgung in der Bundesrepublik Deutschland steht damit vor gravierenden strukturellen Einschnitten, gelingt nicht noch ein politisches Gegensteuern im Zuge des weiteren Gesetzgebungsverfahrens.

Autoren:
Hartmut Gaßner / Dr. Holger Thärichen
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