Public Manager
23.10.2008 | Weiterbildung

Wissensbilanzen messen das intellektuelle Kapital regionaler Netzwerke

Cluster-Management und der Aufbau von Technologie-Netzwerken sind heute weithin geläufige Instrumente der Regionalentwicklung und der Wirtschaftsförderung. Ihre Basis ist der Austausch von Wissen zwischen Wirtschaftsakteuren, um Innovationen hervorzubringen und so die regionale Wertschöpfung zu stärken.

Doch über welches Wissen verfügen die Netzwerk-Mitglieder? Wie gut funktioniert der Wissensaustausch und wie sind die externen Beziehungen des Netzwerks? Das sind Fragen, mit denen sich auch das Virtual Dimension Center Fellbach (VDC) beschäftigt, eines von 14 Kompetenzzentren der Region Stuttgart. Auf der Suche nach Antworten erprobte das VDC als Pilotnetzwerk im internationalen Forschungsprojekt RICARDA erstmalig die Methode der Wissensbilanzierung.

Wissensbilanzen erfassen systematisch die Ressource Wissen als intellektuelles Kapital, ein in der Betriebswirtschaft bereits geläufiges Instrument. Koordiniert vom Deutschen Institut für Urbanistik (Difu) und unter Beteiligung der Wirtschaftsförderung Region Stuttgart GmbH (WRS) arbeiteten die Partner des EU-finanzierten RICARDA-Projekts in den vergangenen zwei Jahren daran, dieses Instrument von Unternehmen auf regionale Netzwerke und Clusterinitiativen zu übertragen. Zum Abschluss präsentierten die acht Partner aus vier europäischen Regionen einen Leitfaden, der die neue Methode wie auch die Erfahrungen dokumentiert, die Pilotnetzwerke wie das VDC damit gemacht haben.

Die Teilnahme am RICARDA-Projekt war für VDC-Geschäftsführer Jens Mohrmann eine logische Konsequenz der erfolgreichen Arbeit des Netzwerks. Seit seiner Gründung im Jahr 2002 verzeichnet es ein starkes Mitglieder- und Aufgabenwachstum.
"Wir haben die Notwendigkeit erkannt, unsere bisherige Arbeit zu bewerten und die Kompetenzen im Netzwerk genauer zu erfassen. Zudem sollten Zukunftsstrategien entwickelt werden, um das Netzwerk systematisch weiter zu entwickeln" fasst der Netzwerkkoordinator zusammen.

Im Zentrum der Arbeit des VDC stehen Virtual Engineering (VE) Technologien, wie 3D-Visualisierung, Simulationsmethoden und Virtuelle Realität. Die rund siebzig Mitglieder und Partner dieses von der WRS und der Stadt Fellbach initiierten Kompetenzzentrums sind Softwareentwickler, industrielle Anwender, Einrichtungen aus Forschung und Lehre sowie weitere Dienstleister und öffentliche Institutionen. Sie nutzen das Zentrum als Kontakt- und Projektbörse und als neutrale Plattform für den Austausch technischer und betriebswirtschaftlicher Informationen.

Die sechs Mitarbeiter der Geschäftsstelle in Fellbach koordinieren nicht nur die vielfältigen Netzwerkaktivitäten, sie verstehen sich als Ideengeber. Sie vermitteln Kontakte, stoßen gemeinsame Entwicklungs- und Anwendungsprojekte an, kümmern sich um die Öffentlichkeitsarbeit und organisieren Veranstaltungen. Eine Demonstrationsanlage lässt potenzielle Nutzer konkrete Anwendungen von VE-Technologien anschaulich erleben; Gründerberatung, Seminare und Infoveranstaltungen runden das Spektrum der Netzwerkarbeit ab.

Um diese Fülle von Aufgaben zu erfassen und strategisch auszurichten, scheinen Wissenbilanzen ein ideales Instrument. Denn wie auch ihre Vorbilder aus dem Controlling erfassen und dokumentieren sie nicht nur das Haben und Soll - sie dienen als Management-Werkzeug, um komplexe Geschäftsprozesse zu steuern.
"Besonders für ein Netzwerk wie das VDC ist es dafür wichtig, weiche Kennzahlen zu erheben" erklärt Mohrmann. "Monetäre Kennzahlen stehen für unsere konkrete Arbeit im Vergleich zu profitorientierten Organisationen im Hintergrund."

Auch WRS-Geschäftsführer Dr. Walter Rogg ist überzeugt von den Möglichkeiten der Wissensbilanzierung. "Uns war es wichtig, ein Instrument zu entwickeln, das hilft, die Erfolgsfaktoren regionaler Netzwerke zu identifizieren" erklärt er die Motivation der regionalen Wirtschaftsförderung für die Beteiligung an dem Projekt. "Mit der RICARDA-Methode können wir und unsere Partner jetzt leichter herausfinden, an welchen Stellschrauben wir drehen müssen, um die Leistungsfähigkeit der Netzwerke zu optimieren und so den Standort insgesamt voranzubringen."

VDC zeichnen die Ergebnisse der Wissensbilanzierung ein differenziertes Bild des Netzwerks und lassen tief in seine Strukturen blicken. So bescheinigt die Bilanz dem Kompetenzzentrum eine sehr ausgewogene Mitgliederstruktur, die fast lehrbuchartig alle Beteiligten eines Clusters abbildet: Produzenten, Zulieferer und Kunden, Partner aus Forschung, Bildung und von öffentlichen Einrichtungen. Engagierte Mitglieder, die sich aktiv in das Netzwerk einbringen, gehören ebenso zu den Posten auf der Habenseite wie auch der intensive interne Informationsaustausch oder die guten Kooperationen mit anderen Netzwerken.

Auch die vielen internationalen Geschäftsbeziehungen der VDC-Mitglieder wurden als positives Kapital identifiziert. Sie sind äußerst wertvoll für das Netzwerk - und damit letztlich für den Standort Region Stuttgart, wie Mohrmann bekräftigt. So stieß beispielsweise aufgrund von Kontakten eines Mitgliedsunternehmens ein norwegisches Unternehmen zum VDC. "Neben guten Kontakten vermittelte das VDC den Norwegern auch die Möglichkeit zur Gründung einer deutschen Tochter" berichtet der Netzwerkmanager. Durch Unterstützung bei der Suche nach Personal und nach Geschäftsräumen sei es schließlich gelungen, die Tochterfirma der Norweger in die Region Stuttgart zu holen.

Insgesamt zieht der VDC-Chef ein durchweg positives Fazit des Projektes Wissensbilanzierung: "Das Projekt war für unser Netzwerk eine hervorragende Möglichkeit, die Arbeit nachhaltig strategisch auszurichten" fasst er zusammen. In drei Jahren werde es aller Voraussicht nach eine Folgebilanz geben. Da man dann auf bereits erarbeitete Kennzahlen und Verfahren zurückgreifen könne, werde das mit vergleichsweise geringem Aufwand möglich sein.

INFO: WISSENSBILANZEN NACH DER RICARDA-METHODE
Das Instrument der Wissensbilanzen kommt aus der Betriebswirtschaftslehre. So, wie eine klassische Geschäftsbilanz materielle Werte von Firmen und Organisationen erfasst, analysiert und bewertet eine Wissensbilanz das intellektuelle Kapital als immateriellen Wert. Mit der im europäischen Forschungsprojekt RICARDA entwickelten Methode kann das Instrument auch auf regionale Unternehmensnetzwerke und Clusterinitiativen angewendet werden.

Intellektuelles Kapital wird dabei erfasst als Humankapital, Strukturkapital und Beziehungskapital. Humankapital sind die Erfahrungen und Fertigkeiten der Mitglieder, gemessen etwa durch ihren Anteil an Beschäftigten mit Hochschulabschluss. Der Posten Strukturkapital bildet das Kooperationsklima im Netzwerk ab, bewertet beispielsweise anhand der Teilnahmequoten an Netzwerkveranstaltungen. Und das Beziehungskapital schließlich sind Außenbeziehungen des Netzwerks, erfasst etwa durch Kooperationsvereinbarungen mit anderen Netzwerken.

Der RICARDA-Leitfaden richtet sich an Manager von Cluster- und Netzwerkinitiativen wie auch an Fachleute aus Politik und Verwaltung sowie Experten, die in der Netzwerkentwicklung beratend oder forschend tätig sind. Er ist eine praktische Arbeitshilfe, kein wissenschaftlicher Bericht. Er ist reich an Ideen und liefert gute Beispiele für Maßnahmen, die zur Verbesserung der Netzwerkarbeit eingesetzt werden können. Der Leitfaden zeigt alle für eine Wissensbilanzierung notwendigen Schritte in leicht verständlicher Sprache; ein ausführlicher Anhang ergänzt die Handreichung durch fertige Checklisten, Übersichten und Beispielfragebögen sowie ein Glossar.

Der Leitfaden kann im Internet unter www.ricarda-project.org
heruntergeladen oder kostenlos bestellt werden bei:
Wirtschaftsförderung Region Stuttgart GmbH (WRS), Veit Haug, Telefon 0711-22835-18, veit.haug(at)region-stuttgart.de