Public Manager
02.05.2008 | Arbeitsschutz

Arbeitsschutz: Unternehmen müssen noch viele Hausaufgaben machen

Fachtagung der Akademie Fresenius zog Bilanz über Arbeitsschutzsituation in Deutschland und diskutierte Maßnahmen für die Zukunft

Alle dreieinhalb Minuten stirbt in der EU ein Mensch an Ursachen, die mit seiner Arbeit zusammenhängen. Dies entspricht über 150000 Todesfällen pro Jahr aufgrund von Arbeitsunfällen (8900) oder Berufskrankheiten (142000). Darauf weist die Europäische Agentur für Sicherheit und Gesundheitsschutz am Arbeitsplatz hin.
Die EU-Kommission hat 2002 erstmals eine vierjährige Gemeinschaftsstrategie für Sicherheit und Gesundheit bei der Arbeit ins Leben gerufen; eine Folgestrategie für 2007 bis 2012 wurde kürzlich vorgelegt. Vor wenigen Monaten haben auch die Arbeitsminister der deutschen Bundesländer nationale Arbeitsschutzziele für die Jahre 2008 bis 2012 beschlossen: Bund, Länder und Unfallversicherungsträger vereinbarten eine Gemeinsame Deutsche Arbeitsschutzstrategie (GDA).

Während auf politischer Ebene der Stein ins Rollen gekommen ist, fehlt es in der betrieblichen Praxis beim Thema Arbeitsschutz in vielen Fällen noch an Elan. Eine Umfrage des Ingenieurbüros Voss ergab, dass nur ein Drittel der Unternehmen über Flucht- und Rettungspläne verfügen, und gerade mal jeder fünfte Mitarbeiter kennt die Notrufnummer in seinem Betrieb.
Es gibt also viel zu tun: Welche Maßnahmen wichtig und sinnvoll sind und wie sie wirksam umgesetzt werden, das diskutierte die Fresenius-Fachtagung "Safety First - Arbeitsschutz 2008" am 23. und 24. April 2008 in Frankfurt-Mörfelden.

Die Zahlen, die Jens-Christian Voss (Ingenieurbüro Voss) für das Jahr 2006 vorlegte, stimmen wenig optimistisch: Die meldepflichtigen Unfälle stiegen im Vergleich zum Vorjahr um 5,3 Prozent auf 844090. Bei den tödlichen Unfällen (646) gab es sogar eine Steigerung um zehn Prozent.

Wesentlich beunruhigender sind jedoch die Ergebnisse einer Umfrage, die das Ingenieurbüro Voss durchführte. Im Zeitraum von 1999 bis 2008 wurden 998 Unternehmen zur Bedeutung des Arbeits- und Brandschutzes befragt. Während 71 Prozent der Vorgesetzten angaben, die Unfallverhütungsvorschriften in Grundzügen zu kennen, waren es bei der Betriebssicherheitsverordnung nur 25 Prozent.

Wehe, wenn es brennt: Brandschutz ist in vielen Unternehmen ein Fremdwort. Eine ausreichende Anzahl von Feuerlöschern gibt es laut der Voss-Umfrage in 65 Prozent der Unternehmen, doch wissen nur 18 Prozent der Vorgesetzten und 15 Prozent der Mitarbeiter, wo sich der nächste Feuerlöscher befindet. Nicht einmal jeder fünfte Unternehmensangehörige könnte mit einem Feuerlöscher einen Entstehungsbrand bekämpfen.
Die Zahlen verwundern nicht, denn 70 Prozent der Unternehmen haben keine Brandschutzordnung. Nur jeder zehnte Mitarbeiter kennt seinen Brandschutzbeauftragten, wobei es einen solchen gerade einmal in 13 Prozent der Unternehmen gibt.

Dass es auch anders geht, zeigte Rainer Kohlen (Evonik Degussa) auf der Fresenius-Fachtagung. Die Evonik Degussa GmbH beschäftigt im Geschäftsfeld Chemie 33000 Mitarbeiter an 100 Produktionsstandorten und betreibt chemische Anlagen mit typischen Gefahrenpotenzialen. Gab es im Jahr 2000 noch neun Arbeitsunfälle ab einen Tag Ausfallzeit pro einer Million Arbeitsstunden, so konnte diese Zahl der Arbeitsunfälle bis 2007 kontinuierlich auf 1,8 gesenkt werden.
"Unsere Unfalluntersuchungen zeigen oft verhaltensbedingte Ursachen - sicherheitsgerechtes Verhalten hätte Unfälle vermeiden helfen. Das heißt: Wir müssen uns mit den Menschen beschäftigen!", betonte Kohlen.
Zur Gesamtaufgabe der Arbeitssicherheit gehöre es, Maßnahmen und Trainings am menschlichen Verhalten und zugleich an den Verhältnissen vor Ort - sprich: an der Arbeitsplatzsituation - auszurichten.

Kohlen stellte die Methode "Moderiertes Sicherheitstraining" vor. Zentraler Bestandteil sind Team-Begehungen im Betrieb mit sechs bis acht Personen, wobei Vorgesetzte und Sicherheitskräfte ausdrücklich nicht teilnehmen sollten. Stattdessen ist ein Moderator dabei, der die Diskussionen vor Ort lenkt und dafür sorgt, dass die Erkenntnisse sofort festgehalten werden. Kohlen sieht einen wichtigen Erfolgsfaktor darin, dass die Mitarbeiter sich eigenständig, eigenverantwortlich und aktiv mit dem Thema Sicherheit auseinandersetzen.

Ist Arbeitsschutz betriebswirtschaftlich sinnvoll?
Die Europäische Agentur für Sicherheit und Gesundheitsschutz am Arbeitsplatz geht davon aus, dass sich durch Investitionen in gute Arbeitsschutzmaßnahmen ein Rentabilitätsfaktor von bis zu zwölf erreichen lässt - das heißt zwölf Euro Gewinn pro einem investierten Euro.
Auch Dr. Karsten Stegemann (Bundesanstalt für Arbeitsschutz und Arbeitsmedizin) ist von der wirtschaftlichen Bedeutung des Arbeitsschutzes überzeugt. Im Jahr 2006 entstanden 36 Milliarden Euro Kosten durch Produktionsausfall aufgrund von Arbeitsunfähigkeit, berichtete er auf der Fresenius-Konferenz.

Die Nummer eins unter den Kostentreibern sind Erkrankungen im Muskel-Skelett-Bereich: Sie erzeugen Behandlungskosten von 25 Milliarden Euro und Produktionsausfallkosten von elf Milliarden Euro. Wenn 30 bis 40 Prozent der Ausfallzeiten vermeidbar wären, ließe sich der volkswirtschaftliche Gesamtschaden um etwa 13 Milliarden reduzieren, rechnete Stegemann vor. "Gesunde Arbeitnehmer sind produktiver und sorgen für bessere Qualität. Weniger arbeitsbedingte Unfälle und Berufskrankheiten führen zu weniger Fehlzeiten am Arbeitsplatz. Das wiederum senkt die Kosten und reduziert die Ausfälle im Produktionsprozess", fasste Stegemann die Vorteile eines wirkungsvollen Arbeitsschutzmanagements zusammen.

Die Tagungsunterlagen mit den Skripten aller Vorträge der Fresenius Konferenz können zum Preis von 250,- EUR zzgl. MwSt. bei der Akademie Fresenius bezogen werden.

Weitere Informationen erhalten Sie hier:

Die Akademie Fresenius GmbH

Alter Hellweg 46
44379 Dortmund

Tel.: +49 (231) 75896-48
Fax: +49 (231) 75896-53

Email:
Web: http://www.akademie-fresenius.de