Deutschlands Stadtwerke müssen Veränderungen meistern - Öffentliche Unternehmen stehen vor schwierigen Aufgaben
Weniger Einwohner, mehr Umweltschutz, dazu klamme öffentliche Haushalte - diese drei Faktoren machen kommunalen Unternehmen zukünftig zu schaffen. Egal ob Stadt- oder Wasserwerke, Wohnungsbauunternehmen in städtischer Hand oder kommunale Entsorgungsunternehmen: In Zukunft stehen sie vor großen Herausforderungen.
Das ist ein zentrales Ergebnis der Jahresveranstaltung des "Verbundnetz für kommunale Energie" (VfkE, www.vfke.org). Bei dem Treffen von rund 200 Kommunalpolitikern, Entscheidern aus der kommunalen Wirtschaft sowie Landes- und Bundespolitikern ging es am 4. November 2010 in Erfurt um die Zukunft kommunalwirtschaftlicher Aktivitäten. Prominente Redner waren unter anderem Thüringens Ministerpräsidentin Christine Lieberknecht (CDU) und die hessische Umwelt- und Energieministerin Lucia Puttrich (CDU).
Experten des "Wissenszentrums Kommunalwirtschaft" (Eberswalde) stellten bei der Tagung ihre aktuelle Studie "Kommunalwirtschaft 2025" vor. Diese belegt, dass die demografische Entwicklung sowie die Verschlechterung der kommunalen Finanzausstattung und Investitionen in Klimaschutz die wesentlichen Herausforderungen sind, welche öffentliche Unternehmen in Zukunft zu meistern haben.
Auswirkungen der Bevölkerungsentwicklung Deutschlands Kommunen und besonders die ostdeutschen Städte und Gemeinden müssen sich auf große Veränderungen einstellen: Der Bevölkerungsrückgang führt zu kleineren Haushalten, gleichzeitig rechnen die Experten mit einer Zunahme von Transferempfängern und sinkenden Steuereinnahmen. Die Kommunen dürften dann dazu neigen, Löcher in ihren Kassen mit Gewinnen öffentlicher Unternehmen zu stopfen - mit mäßigem Erfolg. Denn die Ertragslage für kommunale Versorger wird auf lange Sicht nicht steigen: Wegen der steigenden Energieeffizienz, damit verbundenen sinkenden Einnahmen und hohem kommunalen Investitionsbedarf für den Klimaschutz fallen die Gewinne der kommunalen Versorger nicht mehr so hoch aus wie bisher. Gleichzeitig steigt der Druck auf die öffentlichen Unternehmen, Leistungen der kommunalen Daseinsvorsorge (Wasser / Abwasser, Wohnungswirtschaft) zu alimentieren.
Thüringen richtet Serviceagentur "Demografischer Wandel" ein
Thüringens Ministerpräsidentin Christine Lieberknecht unterstrich, dass die demografische Entwicklung und die damit verbundene Frage sozialer Sicherung eine der größten Herausforderungen sei, vor denen wir stehen. "Landesregierung und Kommunen müssen an einem Tisch sitzen. Eine Serviceagentur 'Demografischer Wandel' als Kompetenzzentrum und Anlaufpunkt für die Kommunen, ein Demografiebericht der als Handlungsleitfaden auch innovative Lösungsansätze aufweisen wird, die Intensivierung des Austauschs mit den Ländern in demografischen Fragen und die Ausbildung und Pflege von Netzwerken und Informationspools im Rahmen von regelmäßig durch den Freistaat Thüringen organisierten Demografiekonferenzen sind konkrete Maßnahmen, die die Landesregierung initiiert hat bzw. sehr zeitnah in 2011 realisieren wird.
Der demografische Wandel hat im östlichen Deutschland früher eingesetzt, ist aber mittelfristig ein deutschlandweiter Trend. Unser Freistaat kann damit als Pilotregion eine Problemlösungskompetenz entwickeln, von der ganz Deutschland profitieren kann", sagte Lieberknecht.
Dr. Marion Eich-Born, Staatssekretärin im Thüringer Ministerium für Bau, Landesentwicklung und Verkehr, erläuterte hierzu: "Die Serviceagentur "Demografischer Wandel" soll im nächsten Jahr als Dienstleister für kommunale Entscheidungsträger und kompetenter Partner für die Wirtschaft, Vereine und Verbände agieren. Sie soll für den demografischen Wandel sensibilisieren, Handlungserfordernisse aufzeigen und die Chancen des demografischen Wandels verdeutlichen. Zwischen den verantwortlichen Akteuren wird sie Netzwerke knüpfen. Der Erfahrungsaustausch über Modellprojekte, die erfolgreich durchgeführt wurden, wird zu einem Katalog innovativer Lösungen führen, der allen Beteiligten zur Verfügung steht."
Leicht negativer Trend in Westdeutschland
Zum ersten Mal gab es mit Hessen eine Beteiligung eines westdeutschen Bundeslandes. Auch die Städte und Gemeinden in den alten Bundesländern stehen vor ähnlichen Problemen, auch wenn die Situation im Westen Deutschlands weit weniger dramatisch ist. Die Prognosen der Wissenschaftler betreffen lediglich einzelne westdeutsche Regionen. Bei der Tagung in Erfurt wurde das anhand der Entwicklung von Teilen Nordhessens beispielhaft gezeigt.
Für die hessische Landesregierung nahm Lucia Puttrich, Staatsministerin für Umwelt, Energie, Landwirtschaft und Verbraucherschutz, in Erfurt teil und äußerte sich zu den Chancen von Kommunen. "Die große Herausforderung liegt darin Antworten auf die Frage zu finden, wie es uns gelingen kann, diese Regionen attraktiv und zukunftsfähig zu machen", sagte Puttrich. Die erneuerbaren Energien spielen hier laut der Ministerin eine wichtige Rolle. Viele Städte und Gemeinden hätten die Chance erkannt, die in den erneuerbaren Energien liegt. Das betreffe einerseits den Aspekt Energieeinsparung wie auch die umweltfreundliche Produktion von Strom. "Der Ausbau der erneuerbaren Energien trägt dazu bei, dass Arbeitsplätze in der Region gehalten und geschaffen werden", sagte Puttrich.
Ostdeutschlands öffentliche Haushalte bald ein Drittel kleiner
Für die Studie wurden mithilfe eines eigens hierfür entwickelten Rechenmodells Prognosen zur finanziellen Ausstattung der Kommunen entwickelt. Diesen Prognosen zufolge sinken die Gemeindesteuern in den neuen Bundesländern bis 2025 um 29 Prozent, in Westdeutschland um deutlich geringere vier Prozent.
Ähnlich trifft es die Haushalte der ostdeutschen Länder: In den nächsten 15 Jahren rechnen die Wissenschaftler auch hier mit einem Einbruch um 30 Prozent, was wiederum Auswirkungen auf die Ausstattung der kommunalen Finanzen hat.
Erfurts Stadtverwaltung arbeitet an Konzepten, wie eine Landeshauptstadt mit diesen Entwicklungen umgehen kann. "Die Landeshauptstadt als Oberzentrum wird in den kommenden Jahren noch an Bedeutung gewinnen. Während die Region schrumpft, wird Erfurt zunehmend Kern und Motor der Entwicklung in Thüringen werden und die drei kreisfreien Thüringer Städte Stützen für die umgebenden ländlichen Räume", sagte Erfurts Oberbürgermeister Andreas Bausewein (SPD).
Studie zur Kommunalwirtschaft hilft bei Zukunftsgestaltung
Gemeinsam mit Thüringens Ministerpräsidentin Christine Lieberknecht und dem Vorstandsvorsitzenden der VNG - Verbundnetz Gas AG (VNG), Dr. Karsten Heuchert, nahm Hessens Energieministerin Lucia Puttrich die Studie "Kommunalwirtschaft 2025" des "Wissenszentrums Kommunalwirtschaft" aus den Händen des Projektteams entgegen. Der Leipziger Erdgasimporteur hat dieses Forschungsprojekt maßgeblich unterstützt. Dr. Heuchert würdigte die Arbeit der Wissenschaftler: "Die Studie "Kommunalwirtschaft 2025" kann kommunale Unternehmen bei der künftigen unternehmerischen Ausrichtung unterstützen", sagte der Vorstandsvorsitzende von VNG. "Durch unsere langjährigen kommunalen Partnerschaften wissen wir, wie wichtig das Engagement der Stadtwerke in und für ihre Region ist", so Heuchert weiter. "Gemeinsam mit den Kommunen möchte VNG weiter an den Herausforderungen einer nachhaltigen Energieversorgung arbeiten", betonte der Vorstandsvorsitzende von VNG.
Bei den Teilnehmern - darunter zahlreiche Bundes- und Landtagsabgeordnete, Oberbürgermeister und Landräte - trafen die Befunde auf großes Interesse. "Solche Analysen und Prognosen sind eine unverzichtbare Grundlage für die nun anstehenden Entscheidungsprozesse", so Karl-Ludwig Böttcher, Geschäftsführer des Städte- und Gemeindebundes Brandenburg und Koordinator der ostdeutschen Spitzenverbände der Städte und Gemeinden. "In Brandenburg steht erneut eine Novellierung des Gemeindewirtschaftsrechts auf der Tagesordnung des Landtages, auch in diesem Zusammenhang könnte die neue Studie unsere Bemühungen für eine Entschlackung bürokratischer Hürden unterstützen", so Karl-Ludwig Böttcher weiter.
Die Rufe nach "Privat vor Staat" hätten sich doch mit der Finanz- und Wirtschaftskrise als weit reichender Irrtum erwiesen, sagte Böttcher. Öffentliche Unternehmen sind relevanter deutscher Wirtschaftsakteur Firmen in öffentlicher Hand verfügen über eine enorme Wirtschaftskraft, allein der Verband kommunaler Unternehmen (VKU) vertritt 1.400 kommunalwirtschaftliche Unternehmen mit über 240.000 Beschäftigten und 92 Milliarden Euro Umsatzerlös (2008).
2011: Lösungen für Herausforderungen suchen
Die Entwicklung im Sektor öffentlicher Unternehmen bestimmt auch die Arbeit des "Verbundnetzes für kommunale Energie" im kommenden Jahr 2011. In den nächsten zwölf Monaten untersuchen die Wissenschaftler des "Wissenszentrums Kommunalwirtschaft", wie sich die deutsche bzw. die ostdeutsche Kommunalwirtschaft an die demografische Entwicklung, die geringere Finanzausstattung der Kommunen und deren Folgen anpassen kann, um auch in Zukunft die wesentlichen Aufgaben der Daseinsvorsorge erfüllen zu können*.
*Titel dieser Studie: "Kommunalwirtschaft 2025. Möglichkeiten der Anpassung der kommunalwirtschaftlichen Betätigung für ausgewählte Bereiche in den Städten und Gemeinden Ostdeutschlands unter den Bedingungen der demografischen Entwicklung und der Zuspitzung der strukturellen Defizite in der kommunalen Finanzausstattung."
Das Verbundnetz für kommunale Energie (VfkE) ist eine parteiübergreifende Kommunikationsplattform der ostdeutschen Kommunalpolitik, welche sich in erster Linie mit Fragen der Wirtschaftstätigkeit der Kommunen in den neuen Ländern befasst. Ziel ist es, die Rahmenbedingungen für die wirtschaftliche Betätigung auf kommunaler Ebene zu verbessern. Das VfKE wurde Ende 2002 von ostdeutschen Kommunalpolitikern und der VNG - Verbundnetz Gas Aktiengesellschaft, Leipzig initiiert. Mitwirkende sind Oberbürgermeister, Bürgermeister und Vorsitzende von Fraktionen in den Stadträten. Das VfkE ist ohne Einschränkung offen für alle kommunalen Amtsund Mandatsträger aus den neuen Ländern.