Public Manager
14.06.2017 | Nutzfahrzeuge - Elektro-Mobilität

Autor:

„Im Gespräch“ mit Prof. Dr. Constantinos Sourkounis, Ruhr-Universität Bochum

Über die Stärken und Chancen der Elektromobilität

Prof. Dr. Sourkounis vom Institut für Energiesystemtechnik der Fakultät für Elektrotechnik und Informationstechnik an der Ruhr-Universität Bochum. (Foto: EnergieAgentur.NRW)

Öl ist endlich, das wissen (endlich) alle. Das heißt auch, dass wir uns in puncto Mobilität nach Alternativen umsehen müssen. Zurück aufs Pferd ist keine Option. Elektromobilität, batterieelektrisch oder basierend auf Brennstoffzellen, ist eine Lösung, die uns völlig neue und innovative Fahrzeugtypen und Mobilitätskonzepte anbietet. Allerdings bedeutet Innovation auch, dass sich etwas verändern muss. Veränderungen können den Menschen verunsichern, da Konstanten nicht mehr gültig sind und neue Routinen gefunden werden müssen. Wie hat es Henry Ford schon formuliert: „Wenn ich die Menschen gefragt hätte, was sie wollen, hätten sie gesagt: ´Schnellere Pferde´“. Unvermeidlich und naturgemäß gibt es also auch gegenüber Elektrofahrzeugen die Skeptiker, die Distanz halten und ihrem Benziner bzw. Diesel die Treue schwören. Was die Elektromobilität schon kann, was sie noch lernen muss und wo ihre Chancen liegen, haben wir in einem Interview mit Prof. Dr. Sourkounis vom Institut für Energiesystemtechnik der Fakultät für Elektrotechnik und Informationstechnik (siehe 1. Link) an der Ruhr-Universität Bochum besprochen.

Sehr geehrter Herr Prof. Dr. Sourkounis, vielen Dank, dass Sie sich Zeit für uns nehmen. Die Frage, die wir oft hören, ist: Wie weit komme ich mit dem Elektroauto bei welcher Geschwindigkeit?

Wer die maximale Reichweite mit seinem Elektroauto erreichen möchte, sollte nicht schneller als 90 Stundenkilometer fahren. Wer sich an diese Vorgabe hält, kommt locker 160 bis 200 Kilometer weit. Bei einer höheren Geschwindigkeit von zum Beispiel 120 Stundenkilometern verringert sich die Reichweite zwar, aber nicht deutlich: Dann liegen wir bei 140 bis 160 Kilometern. Wenn es besonders heiß oder kalt ist, also die Heizung oder Klimaanlage und weitere elektrische Geräte während der Fahrt in Betrieb sind, kann sich die Reichweite nochmal um bis zu 20 Prozent verringern. Grundsätzlich ist bei dieser Frage auch ein entscheidender Faktor, welches Modell ich fahre. Ein Tesla hat einen größeren Akku als ein Renault Zoe, folglich komme ich damit auch weiter.  

Elektroautos sind aktuell ziemlich teuer. Kann sich denn in Zukunft überhaupt jeder einen Elektrowagen leisten?

Ja. Einen elektrischen Kleinwagen bekomme ich bereits jetzt ab 22.000 Euro. Durch den staatlichen Umweltbonus und einen Rabatt der Hersteller kann sich der Preis aktuell reduzieren. Ein vergleichbarer Benziner mag um die 8.000 Euro weniger kosten. Aber: Für einen Benziner lege ich im Stadtverkehr rund 10 Euro auf 100 Kilometer hin. Für das Elektroauto zahle ich dafür drei bis vier Euro, gehen wir konservativ von vier Euro aus. Ich spare also beim Tanken im Vergleich sechs Euro. Auf 100.000 Kilometer gerechnet macht das 6.000 Euro aus. Für einen Benziner muss ich in dieser Zeit Ölwechsel und weitere Servicereparaturen draufrechnen, sagen wir rund 2.000 Euro. Das sind in Summe 8.000 Euro, die ich bei dem Benziner zwar am Kaufpreis gespart habe, die ich aber im Laufe der Zeit reinstecken muss. Der Elektrowagen hat sich also nach 100.000 Kilometern voll amortisiert. Von da an spare ich bei jeder Fahrt mit dem Elektroauto.

Kritiker finden, dass man mit dem Elektroauto nicht mehr so schnell von A nach B kommt.

Stellen wir uns folgende Szenarien vor: Ich fahre mit einem Elektroauto eine Strecke von 100 Kilometern mit Tempo 100. Dann bin ich nach einer Stunde am Ziel. Oder ich fahre die gleiche Strecke mit einem Benziner oder Diesel zu einer Hälfte mit 150 Stundenkilometern (km/h), wenn die Straße frei ist, und die andere mit 50 km/h, wenn der Verkehr ins Stocken gerät. In der zweiten Situation habe ich einen mindestens 20 Prozent höheren Verbrauch. Von der Zeit, bis ich am Ziel bin, macht es in beiden Fällen aber keinen Unterschied. Ich brauche eine Stunde. Jetzt macht sich der Vorteil der Elektromobilität bemerkbar: Die Autofahrer achten mehr auf ihre Geschwindigkeit zugunsten der Reichweite und dadurch wird der Verkehr grundsätzlich fließender und es kommt weniger zu Stop-and-Go-Situationen. In Deutschland möchte sich aber niemand vorschreiben lassen, wie schnell er oder sie zu fahren hat, weder vom Gesetzgeber noch von der Technik. Ich kenne das so gar nicht. In meinem Heimatland, Zypern, wird mit einer durchschnittlichen Geschwindigkeit von 100 km/h gefahren, das wäre auch für deutsche Autobahnen ein guter Schnitt. Das mit dem Tempo ist aber eine Sache, die muss in den Köpfen der Menschen hier erst noch ihren Platz finden.

Der Strom in meinem Auto ist aufgebraucht und ich muss tanken. Wie viel Zeit muss ich einplanen?

Technisch ist es schon heute möglich, ein Auto an einer Schnellladesäule mit 350 Kilowatt in 10 bis 20 Minuten komplett aufzuladen. An einer kleineren Säule mit nur 10 Kilowatt kann es bis zu zwei Stunden dauern, an einer normalen Haushaltssteckdose oder Wallbox zwei bis sechs Stunden. Ich muss meinen Wagen aber auch nicht immer vollladen und damit viel Wartezeit auf mich nehmen. Falls ich an einer Ladesäule mit wenig Kilowatt stehe, lade ich nur so viel auf, wie ich noch fahren muss. Die Automobilbranche setzt derzeit alles daran, dass die Ladezeiten sich weiter verkürzen und nicht viel länger dauern als eine gemütliche Kaffeepause. Eine Herausforderung besteht nun darin, wie wir so viel Strom (Leistung) in die Schnellladesäulen bekommen. Strom ist nicht das Problem, davon ist genug da. Meiner Meinung müssen wir es schaffen, Speicher an Schnellladeoptionen zu installieren. Auf diese Weise können wir Energie sammeln und den Tankvorgang über gespeicherte Energie aus dem Speicher und aus dem Netz gewährleisten. So relativieren wir die Belastung des Netzes bzw. schützen es vor einer Überlastung.  

Was wird unternommen, um die Infrastruktur des Ladenetzes auszubauen?

Die Bundesregierung arbeitet stark daran, die Infrastruktur für Ladesäulen auszubauen und stellt dafür 300 Millionen Euro in einem Fördertopf bereit. Damit sollen 15.000 Ladesäulen in Deutschland errichtet werden. Denn klar ist, wenn es eine dichte Infrastruktur gibt, wird es auch mehr Elektroautos auf den Straßen geben. Ende 2016 hatten wir in Deutschland rund 7.400 öffentliche Ladepunkte, seit Mitte 2016 sind rund 900 neue Ladepunkte entstanden, das ist eine Steigerung von elf Prozent zum Vorjahr.* Übrigens: Mit über 1.330 öffentlich zugänglichen Ladepunkten liegt NRW im Ländervergleich vorne. Es tut sich also schon recht viel in diesem Bereich. Natürlich ist das ein Prozess, der nicht von heute auf morgen umgesetzt, sondern eine Daueraufgabe für Jahre sein wird. Aber wir gehen in die richtige Richtung. Unterstützt werden diese Unternehmungen in Zukunft von Branchen, die den Ausbau der Infrastruktur auch als Geschäftsidee interpretieren: Während eines Einkaufs beim Lebensmittelhändler zum Beispiel kann der Kunde seinen Wagen kostenlos auf dem Parkplatz aufladen. Und wenn ich meinen Wagen schon kostenlos aufladen kann, bleibe ich auch vielleicht eine Minute länger im Geschäft.

Ist das Elektroauto emissionsärmer als ein herkömmlicher Pkw? Stellt die Entsorgung der Batterien noch immer ein Problem dar?

Wie emissionsarm ein Elektroauto ist, hängt davon ab, wie es produziert wurde und woher der Strom kommt, mit dem es geladen wird. Handelt es sich dabei um Strom aus erneuerbaren Energien, kann ich die Frage mit einem „Ja“ beantworten. Denn Elektroautos haben den Vorteil, dass sie keine Schadstoffe bei der Fahrt ausstoßen.
Und zu der Entsorgung der Batterie: ein ähnliches Thema haben wir mit der Entsorgung der Fahrzeugkatalysatoren bei den Benzinern und Dieselfahrzeugen. Aus diesem Grund also lieber ein herkömmliches Auto zu fahren, ist zu kurz gedacht. Wovon ich aber überzeugt bin, ist, dass wir in Zukunft Technologien entwickeln werden, um die Batterien umweltverträglich abzubauen. Auch eine Zweitverwendung in großen, stationären Batteriespeichern ist denkbar.
 
Warum stehen Ihrer Meinung einige Bürgerinnen und Bürger der Elektromobilität so zurückhaltend gegenüber?

Die Menschen haben Angst, dass sie plötzlich irgendwo liegen bleiben und keine Ladesäule in der Nähe ist. Bleibt man mit einem herkömmlichen Auto mit leerem Tank liegen, hat man vielleicht Glück und ein anderer Autofahrer hat einen Kanister mit Benzin oder Diesel dabei. Dann geht die Fahrt weiter. Mit dem E-Auto gibt es diese einfache Lösung nicht. Diese Sorge ist aber nicht nötig, weil die Reichweite bereits von Kleinwagen total ausreichend ist, um die Aufgaben des Alltags wie Büro, Einkaufen, Kita, Post usw. zu erledigen. Was vielen Menschen nicht so richtig bewusst ist, ist, dass sie die meisten Stunden des Tages ihr Auto ja gar nicht brauchen. Diese Zeit können sie sinnvoll nutzen, um das Auto tagsüber auf dem Parkplatz des Arbeitgebers, über Nacht in der Garage oder auf einem Stellplatz aufzuladen. 
 
Was sind die Chancen der Elektromobilität?

Wir können nur von der Elektromobilität profitieren. Zunächst haben wir keine andere Wahl, als uns langsam vom Öl zu verabschieden, da sein Bestand nun mal endlich ist. Durch den Umstieg auf die Elektromobilität lösen wir nicht nur unsere Abhängigkeit von dieser Ressource, sondern auch von den Ölstaaten. Gleichzeitig stärken wir mit der Forschung und Entwicklung der Elektromobilität unser Land als Technologiestandort weltweit. Wir haben die Chance, Leitanbieter dieser Technik zu werden. Zusätzlich befreien wir uns selbst vom Smog, der vor allem in den Ballungsräumen ein großes Problem darstellt. Die Menschen bekommen immer mehr Krankheiten, die mit ihren Atmungswegen zu tun haben. Mit den Elektroautos fahren wir schadstofffrei und zusätzlich geräuschlos, d.h. dass wir nicht nur den Feinstaub reduzieren, sondern auch die Geräuschemissionen. Mit dem Einsatz erneuerbarer Energien für die Mobilität leisten wir zudem einen Klimaschutzbeitrag für den Sektor Verkehr, der bislang bedeutende Fortschritte bei der Reduktion von CO2 vermissen lässt.
 
Eine letzte Frage zum Thema Mobilitätsverhalten der Zukunft: Wir haben erörtert, dass wir Menschen unser Auto nur wenige Stunden am Tag brauchen. Wäre es nicht klug, auf ein eigenes Auto zu verzichten und mehr zu teilen?

In Großstädten verzichten bereits viele Menschen auf ein eigenes Auto, da alle wichtigen Punkte mit Bus und Bahn erreichbar sind. Natürlich gibt es immer wieder Erledigungen, die mit den Öffentlichen nicht zu realisieren sind. Dafür sind Carsharing-Modelle eine hervorragende Lösung, die von Bürgerinnen und Bürgern auch gut angenommen werden, wie die großen Player DriveNow und Car2Go beweisen. Ich denke, dass sich dieser Trend auch weiter bei vor allem jungen und unabhängigen Menschen durchsetzen wird. Allerdings könnte ich mir vorstellen, dass auch diese Personen zumindest temporär einen eigenen Wagen bevorzugen, wenn sich zum Beispiel durch die Geburt eines Kindes die Anforderungen im Alltag ändern oder man aus anderen Gründen flexibel und mobil sein muss. In ländlichen Gebieten wird das Auto auf absehbare Zeit nicht leicht zu ersetzen sein. Deshalb sollte hier der Fokus auf der Vernetzung von Verkehrsangeboten und der Schaffung neuer Kooperationen liegen. Wenn Kommunen, örtlich ansässige Firmen und Privatleute kooperieren, können Elektrofahrzeuge dort stärker ausgelastet und möglicherweise auch im Carsharing genutzt werden.

*Quelle: siehe 3. Link