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19.12.2011 | Allgemeine Meldungen

Runter vom Schuldenberg

Plädoyer für eine nachhaltige und transparente Finanzpolitik - Positionspapier des Instituts für den öffentlichen Sektor

Das Institut für den öffentlichen Sektor meldet sich mit diesem Positionspapier zu Wort aus Sorge um die Zukunftsfähigkeit Deutschlands, die es durch die ausufernde Staatsverschuldung gefährdet sieht.

Ein immer größerer Teil der öffentlichen Ausgaben wird über Kredite finanziert. Die wachsende Schuldenlast mindert die Lebenschancen nachfolgender Generationen. Die bisherigen Formen öffentlichen Haushaltens haben in der Vergangenheit zu wachsenden Versäumnissen geführt. Sie sind mit den neuen Herausforderungen nicht mehr vereinbar. Angesichts der Folgen verlieren die Bürger zunehmend das Vertrauen in finanzpolitische Entscheidungen. Sie fürchten, dass der weitere Verzicht auf Reformen unser Gesellschaftssystem als Ganzes gefährden könnte.

Noch steht Deutschland im Vergleich zu anderen Ländern relativ gut da. Aber auch auf unser Land warten gigantische Aufgaben. Das Institut ruft dazu auf, ihre Bewältigung als Chance zum Handeln zu nutzen. Der Abbau der Staatsverschuldung muss oberste Priorität genießen. Mittelfristiges Ziel muss es sein, die Verankerung einer nachhaltigen und glaubwürdigen Finanzpolitik entschlossen anzugehen und die kommunale Handlungsfähigkeit zu stärken.

Fast alle westlichen Länder haben trotz wachsenden Wohlstands ihren öffentlichen Haushalten jahrzehntelang nicht die ordentlichen Einnahmen gesichert, die zur Finanzierung der Ausgaben notwendig gewesen wären. Die Folge war eine chronische und steigende Verschuldung der öffentlichen Haushalte. Niemand dachte daran, die aufgelaufenen Schulden irgendwann einmal wieder zu tilgen. Die 2009 geschaffene Schuldenbremse ist inzwischen der zweite Versuch, einem weiteren Ausufern der Verschuldung verfassungsrechtliche Grenzen zu setzen. Erfolgreich wird dieser jedoch nur dann sein, wenn es unter dem Eindruck der zunehmend dramatischen Situation gelingt, die geltenden verfassungsmäßigen Grundlagen der Finanzpolitik zu reformieren und neue Lösungen zu entwickeln.

Das Institut stellt fest:
Auf Zeit gesehen hat die Politik chronischer Neuverschuldung das staatliche Leistungsvermögen nicht erhöht. Sie hat den Bürgern langfristig keine Vorteile gebracht. Von 1950 bis 2008 haben Bund, Länder und Gemeinden zusammen rund 1,6 Billionen Euro Kredite zur Haushaltsfinanzierung aufgenommen. In der gleichen Zeit wurden für diese Kredite rund 1,5 Billionen Euro an Zinsen gezahlt!

Die ohnehin hohe Zinsbelastung, die die Bürger von heute und morgen tragen, ist mit weiteren Risiken verbunden. Zwar ist die notwendige Anschlussfinanzierung für fällig werdende Schuldtitel hierzulande gegenwärtig nicht gefährdet. Das kann sich aber ändern. Es muss damit gerechnet werden, dass die aktuell historisch niedrigen Zinssätze in den kommenden Jahren wieder steigen und zu höheren Zinsausgaben der öffentlichen Hände führen. Es muss deshalb verhindert werden, dass die Blase des öffentlichen Kredits mit unübersehbaren Folgen für die Menschen platzt. Die ständige Neuverschuldung muss jetzt beendet werden!

Für den Abbau der deutschen Staatsverschuldung schlägt das Institut ein Acht-Punkte- Programm vor:

1. Die Wirksamkeit der Schuldenbremse muss gestärkt werden: Die bisher zulässige Neuverschuldung des Bundes muss entfallen, unvermeidbare neue Kredite sind jeweils im Folgejahr vollständig zu tilgen.

2. Notwendig ist ein gerechtes Maßnahmenpaket zum Abbau der Haushaltsdefizite: "Breitere Schultern" sollen größere Lasten tragen, erforderlich ist auch die ebenso wirksame wie konsequente Überprüfung der Subventionen und Steuervergünstigungen.

3. Eine "Deutsche Finanzagentur" sollte geschaffen werden, die die Schulden des Bundes und der Länder verwaltet und auf ihren Abbau drängt.

4. Für Zinszahlungen auf die gemeinsamen Schulden dürfen keine neuen Kredite aufgenommen werden. Sie müssen aus dem Steueraufkommen finanziert werden.

5. Die Schulden des Bundes und der Länder werden zu einer Gesamtschuld zusammengefasst.

6. Die Einkommensteuerprogression von 0,2 Prozent des Bruttoinlandsprodukts (BIP) des Vorjahres, ansteigend um 0,2 Prozent jährlich auf maximal 2 Prozent des BIP, soll zur jährlichen Schuldentilgung genutzt werden.

7. Fehlverhalten von Bund und Ländern muss sanktioniert werden. Die "Deutsche Finanzagentur" muss das Recht erhalten, zusätzlich Steuereinnahmen einzuziehen und zur Tilgung aller Schulden zu verwenden. Eine Bundes- oder Landesregierung, die dennoch drei Jahre hintereinander Defizite verursacht, muss sich Neuwahlen stellen.

8. Vergleichbare Regelungen sind auch für die Gemeinden zu schaffen.

Um die politische Legitimation unseres demokratischen Gemeinwesens dauerhaft zu sichern, ist eine nachhaltige, generationengerechte Finanzpolitik unverzichtbar. Eine institutionell gesicherte Transparenz künftiger Belastungen, die aus heutiger Sicht zu erwarten sind, muss gewährleistet sein. Die Bürger haben ein Recht zu erfahren, welche finanziellen Folgen öffentliche Entscheidungen verursachen und wie groß die von der öffentlichen Hand eingegangenen Verbindlichkeiten tatsächlich sind.

Das klassische kameralistische Haushalts- und Rechnungswesen kann die dafür erforderlichen Informationen nicht bereitstellen. So werden Verpflichtungen für zukünftige Pensionszahlungen und Beihilfen in der Haushaltsplanung und Rechnungslegung nur mit den Jahrestranchen erfasst. Garantien und Bürgschaften, wie sie beispielsweise im Rahmen der Finanzkrise eingegangen wurden, werden nicht hinreichend transparent gemacht. Es hat sich gezeigt, dass die für die Information der Bevölkerung notwendige Transparenz der staatlichen Haushalte am besten durch ein öffentliches Haushalts- und Rechnungswesen gesichert wird, das in Form der Integrierten Verbundrechnung in Anlehnung an die kaufmännische Rechnungslegung konzipiert ist.
Die entsprechende, vom Gesetzgeber 2010 durch Novellierung des HGrG geschaffene Möglichkeit zur "staatlichen Doppik" sollte auf allen Ebenen des föderalen Systems der Bundesrepublik Anwendung finden. Dabei wird es längerfristig notwendig sein, über die klassische finanzwirtschaftliche Sphäre hinaus auch die zunehmenden ökologisch und sozialpolitisch bedingten staatlichen Aufgaben in das Rechnungswesen einzubeziehen.

Sorgen bereitet auch die finanzielle Situation der Gemeinden. Ihre grundgesetzliche Garantie der Selbstverwaltung wurde in den zurückliegenden Jahrzehnten zunehmend ausgehöhlt. Durch Verschiebungen von Aufgaben auf die kommunale Ebene ohne angemessene Gegenfinanzierung haben Bund und Länder ihre politischen Handlungsmöglichkeiten zulasten der Kommunen ausgeweitet. Aber auch die Kommunen selbst haben über Jahrzehnte hinweg bereitwillig den Weg in die Verschuldung beschritten und damit die Entwicklungschancen künftiger Generationen und das Vertrauen in die Politik vor Ort belastet.

Wir brauchen einen Kurswechsel hin zu einer nachhaltigen kommunalen Finanzpolitik! Transparenz muss erhöht, Risiken müssen offengelegt werden. Beides ist Voraussetzung für ein Mehr an Bürgerbeteiligung: Wer öffentliche Investitionen befürwortet, muss sie auch bezahlen. Gebührenspielräume können ausgeschöpft, Grundsteuer und Zweitwohnungsteuer können in eine kommunale Wohnungsteuer umgewandelt werden. Neue Aufgaben dürfen den Kommunen nur zusammen mit einer entsprechenden Finanzierung übertragen werden. Die Kommunen selbst müssen ihre freiwilligen Selbstverwaltungsaufgaben einer ständigen Effektivitäts- und Effizienzprüfung unterziehen. Die Möglichkeiten kommunaler Kreditaufnahme müssen entsprechend begrenzt werden.

Soweit kommunale Leistungen und Investitionen aus Steuermitteln der Kommunen finanziert werden, sollte über Mitwirkungsrechte der Bürger und angemessene Finanzierungs- und Amortisationsvorlagen nachgedacht werden. Kommunale Leistungen, die scheinbar zum Nulltarif angeboten werden, darf es nicht mehr geben.

Wir meinen: Die Krise ist eine Chance für unser Land - wir rufen dazu auf, sie zu nutzen!
Beirat und Vorstand des Instituts für den öffentlichen Sektor e.V.

Das vollständige Positionspapier ist unter www.publicgovernance.de
abrufbar.

Das Institut für den öffentlichen Sektor
Das von KPMG geförderte Institut für den öffentlichen Sektor e.V. wurde 2005 gegründet, um die Modernisierung des öffentlichen Sektors und die Governance-Diskussion in öffentlichen Unternehmen aktiv zu begleiten. Es betreibt eigene Forschungs- und Publikationstätigkeit auf den Gebieten Public Management und Public Corporate Governance und bietet vor allem Praktikern ein Forum für Austausch und Diskussion.
Der Vorstand
Ulrich Maas (Vorsitzender)
Diethelm Harwart (stellv. Vorsitzender)
Der Beirat
Dr.-Ing. E. h. Heinz Dürr (Vorsitzender)
Prof. Dr. Kurt Biedenkopf
Prof. Dr. Dr. h. c. Dietrich Budäus
Dr. Bernd Lüthje
Dr. Manfred Overhaus
Prof. Dr. Hannes Rehm
Redaktion
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Dr. René Geißler
Dr. Ferdinand Schuster
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